17. Juli 2023

„Projekt Pluto“ von Lucy Kissick

Ein SF-Roman über Terraforming auf Pluto, aktuell nominiert für den Arthur C. Clarke Award

Lesezeit: 3 min.

In der Zukunft von Lucy Kissicks Debütroman „Projekt Pluto“ (im Shop) verteilen sich die Menschen dank Terraforming im All. Selbst auf einem lebensfeindlichen Planeten wie Pluto wird gesiedelt, der neuen Grenze der Menschheit von der kaputten Erde, weit entfernt, eiskalt, rau und unwirtlich, nicht von der Sonne geküsst. Das Terraforming-Projekt Plutoshine soll dem Eisplaneten mit einem gigantischen Schirm aus Sonnenspiegeln und mit drei kontrolliert in die Atmosphäre gejagten Astroiden eine dauerhafte klimatische Veränderung bringen, obwohl diese letztlich Jahrzehnte, vermutlich Generationen brauchen wird, ehe sie das Antlitz der Welt um die Stern-Station der Kolonisten verwandelt hat.

Der Ingenieur Lucian vom Merkur gehört zu denen, die in der Manier mächtiger, gottähnlicher Sonnenbringer den Wandel herbeiführen sollen. Dazu setzt Lucian Handschuhe ein, mittels derer er nicht bloß in Simulationen kosmischer Ereignisse die Trennung zwischen Virtualität und Realität aufheben kann – er vermag sogar einen Asteroiden zu lenken. Aber was bringt die beste Technologie, wenn irgendjemand in der Basis die Phasen des Terraforming-Projekts allem Anschein nach sabotiert? Auf der Station schließt Lucian aber auch die schüchterne neunjährige Nou in sein Herz. Die Tochter des genialsten, einflussreichsten aller Pluto-Pioniere spricht seit einem mysteriösen Unfall im Eis nicht mehr. Lucian nimmt sie unter seine Fittiche und bringt ihr fürs Erste Gebärdensprache bei …

Die englische Astrogeologin Dr. Lucy Kissick schrieb ihren Roman „Projekt Pluto“ alias „Plutoshine“, während sie im Labor für ihre Doktorarbeit die Seen auf dem Mars nachbildete, um die Atmosphäre des Roten Planeten besser ergründen zu können. Obendrein füttert Kissick seit einer Handvoll Jahren ihren eigenen, von 32.000 Menschen gefolgten YouTube-Kanal The PhDiaries, in dem sie ihre wissenschaftliche und literarische Karriere begleitet, sozusagen dokumentiert hat – mit Tipps zum Studieren, Forschen, Bewerben, Präsentieren, Schreiben, Veröffentlichen. Der duale Weg hat sich für die heutige Kernchemikerin und Schriftstellerin gelohnt: Aktuell ist ihr Science-Fiction-Romanerstling im Rennen um den auf Hard-SF ausgerichteten Arthur C. Clarke Award (den Bloomsbury Writers & Artists’ Working Class Writers’ Prize hat Kissick bereits gewonnen).


Lucy Kissick. Foto © privat

Wer das von Peter Robert ins Deutsche übertragene Buch liest, wird schnell verstehen, wie verdient auch der Clarke Award wäre. Denn Kissick gelingt es, eine menschenfeindliche Welt mit ganz viel literarischer Menschlichkeit zu füllen. Sicher, in ihrer Hard-Science-Fiction macht sie zunächst das Terraforming eines Planeten zu einem spannenden, zugänglich geschilderten, permanent präsenten Element ihres Romans. Dennoch überlässt sie ihren Charakteren oft die Bühne, in der Mitte auch länger den Raum, ohne dass es der Geschichte oder dem Feeling schaden würde. Besonders Lucian und Nou sind bemerkenswert sympathische Figuren, in ihrem liebevollen, vorsichtigen Zusammenspiel. Auch ergänzen sich ihre Blickwinkel rein vom Plot her sehr schön.

Die Erkenntnis, dass es in der besten Science-Fiction trotz fremder Planeten, plagender Zombies oder was auch immer stets um die Menschen, das Schwierige am Menschsein gehen muss, ist natürlich nicht neu. Doch man muss diese Erkenntnisse auch umsetzen können – und das gelingt Kissick in „Projekt Pluto“, richtig richtig gut. Außerdem besteht ihr Roman aus vielen interessanten Schichten: Es geht um Freundschaft, Familie, Wissenschaft, Astrophysik, Terraforming, Grenzen, Hybris, Erstkontakt, Intrigen, Trauma, Mutismus, Kommunikation, seelische Misshandlung von Kindern – ein großes Repertoire an Themen, die Kissick mühelos in ihrem 540 Seiten starken SF-Highlight unterbringt, ohne dass je der Fokus oder der Unterhaltungswert darunter leiden würde. Dabei ist ihr Roman zugleich bildgewaltig, kosmisch, physikalisch, gefühlvoll, futuristisch, gegenwärtig. Im Terraforming-Aspekt kann man eine Parabel darauf sehen, die Kurz- und Langfristigkeit „unseres“ Klimawandels sowohl mental als auch praktisch zu vereinen.

Es sind Werke wie „Projekt Pluto“, wegen derer wir diese Art von Science-Fiction lieben.

Lucy Kissick: Projekt Pluto • Roman • Aus dem Amerikanischen von Peter Robert • Heyne, München 2023 • 544 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 17,00 • im Shop

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