„Die Parabel der Talente“ von Octavia E. Butler
Erstmals auf Deutsch: der zweite Band der legendären „Earthseed“-Saga
Vergangenen Sommer erschien der SF-Klassiker „Die Parabel von Sämann“ (im Shop), einer der wichtigsten Romane der US-amerikanischen Schriftstellerin Octavia E. Butler (im Shop), in neuer Übersetzung von Dietlind Falk auf Deutsch. Der Roman, ursprünglich 1993 publiziert, gehört noch immer zum Besten, was man in Sachen Dystopie und Endzeit lesen kann. Selbst über dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung erweisen sich Butlers Gedanken zur Entwicklung bzw. zum Zustand von Klima, Gesellschaft und Politik als unheimlich vorausschauend und präzise. Nun liegt mit „Die Parabel der Talente“ (im Shop) das Sequel aus dem Jahr 1998 zum ersten Mal auf Deutsch vor. Und wieder zeigen sich gespenstisch viele Parallelen zwischen Octavia E. Butlers Must-Read-SF und unserer gegenwärtigen Wirklichkeit.
In „Die Parabel vom Sämann“ verlor die junge Lauren Oya Olamina die fragile Sicherheit ihrer geschützten Community inmitten von Klimakrise, Chaos und Gewalt. Aber auf ihrer Reise durch die USA Mitte der 2020er fand sie neue Gefährten, und sie legte den Samen für eine neue Gemeinschaft – und für ihre eigene Glaubensrichtung Earthseed, in der Gott für Veränderung steht, und die sich eines Tages selbst zwischen den Sterne verbreiten soll. In „Die Parabel der Talente“ erfahren wir nun, wie sich Laurens selbstversorgende Kommune Acorn in den frühen 2030ern entwickelt, und damit auch Earthseed. Laurens Tagebucheinträge machen erneut einen Großteil des Romans aus, doch diesmal kommt in rückblickenden Kommentaren zwischen diesen Passagen außerdem Laurens Tochter Larkin zu Wort, die zu Beginn des Romans noch gar nicht geboren ist. Mutter und Tochter erzählen uns ohne direkten Austausch, wie Amerika durch einen extrem konservativen, schwer nationalistischen Präsidentschaftskandidaten und dessen brutale Anhängerschaft noch weiter in dystopische Schieflage gerät, bis sogar die Sklaverei in einer neuen Hightech-Form zurückkehrt
Make America Great Again. Das ist der Slogan von Andrew Steele Jarret, der in Butlers Roman von 1998 als Präsident ein christliches, ein wieder erstarktes und vereintes Amerika verspricht, das sich den abtrünnigen Staat Alaska zurückholen wird – und natürlich macht allein der viel zitierte Spruch „Die Parabel der Talente“ in dem Jahr, da Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt werden könnte, wieder irre aktuell. Allerdings, das sollte vielleicht mal erwähnt werden, nutzten den Slogan bereits Ronald Reagan (1980) und Bill Clinton (1992) für ihre Kampagnen. Ihn in dem auf so vielen Ebenen bemerkenswerten Science-Fiction-Schaffen von Octavia E. Butler zu lesen, haut sechs Monate vor den nächsten US-Wahlen dennoch allemal rein. Ein verstörend vertrautes Element für ein Buch von 1998, und ein krasses Bindeglied zwischen unserer Realität und dem fiktiven, finsteren Areal von „The Last of Us“, „Der Report der Magd“ und „Die Straße“.
Wie ihre Protagonistin Lauren, hatte Butler, die man noch für Werke wie „Kindred“ (2022 als TV-Serie adaptiert), „Wilde Saat“ (zuletzt 2021 in der Reihe „Meisterwerke der Science-Fiction“ erschienen; im Shop) und „Xenogenisis“ (ab Juli im Paperback; im Shop) kennt, große Pläne für Earthseed“. Die nächsten Romane hätten „Parable of the Trickster“, „Parable of the Teacher“, „Parable of Chaos“ und „Parable of Clay“ heißen sollen. Allerdings kam Butler vor ihrem Tod aufgrund einer Schreibblockade nicht über mehrere gescheiterte Versuche des Romananfangs von Band drei hinaus. Die finden sich heute übrigens in der Huntington Library in San Marino, Kalifornien, zusammen mit 8000 anderen Stücken in der Nachlass-Sammlung der 2006 verstorbenen Autorin, neben weiteren Textfragmenten, Tagebüchern, Notizen, Recherche-Material, Briefen und anderen Dingen.
Als Science-Fiction-Fan erfüllt es einen mit unendlichem Bedauern, dass Octavia E. Butler ihre weiteren „Earthseed“-Romane nie hat realisieren können. Das schmälert allerdings weder die Güte, noch die Wichtigkeit oder Aktualität von „Die Parabel vom Sämann“ und „Die Parabel der Talente“ – und sowieso nicht die Dankbarkeit, die man beim Lesen dieser großartigen, unverzichtbaren, aufrüttelnden Genre-Romane empfindet, die es nun endlich beide auf Deutsch gibt.
Octavia E. Butler: Die Parabel der Talente • Roman • Aus dem Amerikanischen von Dietlind Falk • Heyne, München 2024 • 560 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: 17,00 € • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.
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