10. Juni 2024

Nippon Connection – 24. Japanisches Filmfestival Frankfurt am Main

Sci-Fi und mehr aus Fernost

Lesezeit: 7 min.

Zwischen dem 28. Mai und dem 2. Juni fand zum 24. Mal das tolle Frankfurter Festival „Nippon Connection“ statt. Über 100 Kurz- und Langfilme wurden gezeigt, viele Filmschaffende waren persönlich anwesend, und ein umfangreiches Rahmenprogramm mit über 60 Workshops, Konzerten und Vorträgen sorgte dafür, dass man in die ganze Bandbereite japanischer Kultur eintauchen konnte. Doch der Autor dieser Zeilen konnte leider, leider erneut nicht vor Ort sein (das „leider, leider“ ist absolut ernst gemeint, denn das Festival ist wirklich zauberhaft und mit viel Liebe gestaltet), durfte mit Unterstützung der Veranstalter aber die Science-Fiction-relevanten Filme sichten …

 

1. Alien’s Daydream (Japan 2023)

Worum geht’s? Der Journalist Uto arbeitet bei einem Boulevardmagazin, das wie alle Boulevardmagazine vor allem an Absatzzahlen und Social-Media-Klicks interessiert ist, weswegen der Journalist eine Reportage über angebliche Ufo-Sichtungen und Entführungen durch Außerirdische in der Kleinstadt Hakui schreiben soll. In Hakui lernt er die mysteriöse Noa kennen, die behauptet von Aliens entführt worden zu sein und kommt einer Sekte auf die Spur …

Lohnt sich? Ich mag das Wort „überambitioniert“ nicht so recht, da letztendlich sehr unscharf. Es kann manchmal schon reichen nur ein kleines bisschen hingebungsvoller als die schlaffe Umgebung zu sein und – plopp – ist man überambitioniert.

Aber selbst wenn der Tatendrang aus allen Poren quillt: Klar, Yoshiki Matsumoto, der übrigens bei Gakuryu Ishii Film studiert hat, will in seinem eigenwilligen, an sich charmanten Debütfilm „Alien’s Daydream“ ziemlich viel. Er verwebt Science-Fiction-, Dokumentarfilm-, Thriller-, Horror-, Komödien und Drama-Elemente in einen labyrinthartigen Plot, der fantastische wie zutiefst menschliche Themen (die Suche nach Aufmerksamkeit) abdeckt und in einem recht hohen Tempo an einem vorbeieilt, was das Ganze etwas anstrengend werden und unfokussiert, zuweilen leicht fragmentarisch wirken lässt. Aber: Vielleicht sind die Ziele ja gar nicht zu hoch gesteckt, die Herangehensweise sollte nur geändert werden? Soll man Matsumoto wirklich sagen: „Hey, sei mal nicht ganz so ambitioniert beim nächsten Projekt!“? oder nicht viel eher „Du hast echt gute Ideen, Alter – damit die aber besser zur Geltung kommen, wäre etwas weniger Tempo und mehr Laufzeit angebracht. Oder mach gleich zwei Filme.”?

Jedenfalls: Nicht wirklich überzeugend, aber da schlummert was Gutes drin. Film zwei darf gerne kommen.

 

2. From The End of the World (Japan 2023)

Worum geht’s? Die Großmutter ist tot, die 17-jährige Vollwaise Hana nun auf sich allein gesellt und geplagt von Teilzeitjob und Schulmobbing. Als ob ihr Schicksal nicht auch so schon hart genug ist, tauchen eines Abends noch Regierungsbeamten einer geheimen Spezialeinheit auf, denn Hana soll durch ihre Träume Vergangenheit und Zukunft verbinden und dadurch den Weltuntergang verhindern können. Logisch, dass es da einen sinistren Gegner gibt …

Lohnt sich? Nicht allzu viel Gutes steckt dagegen in der Arbeit von Kazuaki Kiriya. Der ehemalige Musikvideo-Regisseur und Fotograf machte 2004 mit seinem Debütfilm, der Anime-Adaption „Casshern“, international auf sich aufmerksam, was aber weniger mit der Qualität als vielmehr mit dem Umstand zu tun hatte, dass es sich um eine der ersten Produktionen handelte, die komplett vor einer Greenscreen gedreht wurde. Das sah damals spektakulär aus, weil neu, die wirre, mit Exposition überladende Handlung fiel da noch wenig ins Gewicht.

Heute, eine Fantastbilliarden Greenscreen-Epen später, lassen sich höchstens noch einzelne Standbilder ertragen, ein visuelles Gespür kann man Kiriya kaum in Abrede stellen. Mit „Goemon“ (2009) und seinem gefloppten US-Debüt „Last Knights“ (2015) steigerte er sich allerdings kaum. „From The End World“ lässt nun vermuten, dass dem Mann keine nennenswerten Budgets mehr anvertraut werden, denn die Unterfinanzierung ist in vielen Szenen kaum zu übersehen. Was aber an sich gar nicht mal so schlimm wäre, es wurde immerhin vor Ort gedreht, der Computer-Einsatz ist dieses Mal zurückhaltend und schlecht aussehen tut’s trotz allem nicht. Nur leider stammt das Drehuch wie bei seinem Erstling erneut von Kiriya und ist diffus wie eh und je – die Charaktere erklären im Laufe des 135-minütigen Labermarathons zwar ziemlich viel, aber je mehr erklärt wird, desto weniger Sinn macht das alles. Das ist bedauerlich, denn die Darsteller sind engagiert bei der Sache – besonders Aoi Itô als Hana ist ein zarter, charismatischer Lichtblick in dieser Tristesse. Angeblich soll es sich bei „From The End of the World“ um Kiriyas letzten Film handeln – nicht gerade ein Grund für Trauer.

 

3. Phönix – Reminiscence of Flower (Japan 2023)

Worum geht’s? Romi und George wollen sich auf dem unbewohnten Planeten Eden17 ein neues Leben aufbauen. Doch das klappt natürlich nicht, sonst hätten wir keinen abendfüllenden Film. Erst stirbt der Mann bei einem Unfall, dann wird die Frau durch ein verunglücktes Experiment in die Zukunft versetzt und muss in einer völlig fremden Welt, mitten in einer weit entwickelten Zivilisation, wieder zur Erde zurückfinden.

Lohnt sich? Leider nicht so. Die Anime-Adaption eines Kapitels aus „Hi No Tori“, dem Jahrhundertepos von Manga-Papst Osamu Tetsuka, orientiert sich eng an der Ästhetik der Vorlage, sieht superschön aus und sorgt in vielen Momenten für ein prima sense-of-wonder-Gefühl, was ja leider nicht mehr so häufig der Fall ist. Die Geschichte von „Phönix“ spielt aber leider über einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren, die hier in 94 Minuten gepresst werden. Und das konnte nicht klappen. Man möchte diesen Anime lieben, bleibt aber distanziert, da im Eiltempo durch einzelne Stationen gejagt wird, Figuren sich kaum entfalten können. Ähnlicher Fall wie bei „Alien’s Daydream“: Der Wunsch Tetsukas Manga möglichst gerecht zu werden, ist klar erkennbar und nicht verkehrt, aber da hätt’s einfach mehr Platz gebraucht. Die Angst zu langweilen, ist mittlerweile aber offenbar recht groß.

 

4. Penalty Loop (Japan 2024)

Worum geht’s? Morgens verabschiedet sich Jun wie immer von seiner Freundin, abends muss er dann ihre Leiche identifizieren, denn seine Liebste wurde gemeuchelt. Getötete Freundinnen verlangen natürlich stets nach Rache, Jun ist da nicht anders und schafft es den Mörder ausfindig zu machen und umzubringen. Doch siehe da! Am nächsten Tag findet er sich in einer Zeitschleife wieder und muss den Mörder erneut umbringen! Und wieder und wieder und wieder! Und der Mörder fragt sich allmählich, wieso er immer wieder umgebracht wird …

Lohnt sich? Derzeit haben’s die Japaner aber mit Zeitschleifen: Kurz nach Junta Jamaguchis tollem „River kommt der neue Film von Shinji Araki, von dem hier 2021 „The Town Of Headcounts“ besprochen wurde. „Penalty Loop“ ist besser, wird aber von einem ähnlichen Problem geplagt: Das Ganze ist ungefähr eine Stunde lang eine pfiffige, herrlich morbide, gelegentlich fast etwas cartoonhafte Mischung aus pechschwarzer Komödie und Drama, allerdings geht dem Ganzen dann langsam aber sicher der Saft aus. Araki weiß nicht so ganz, wie er das Ganze beenden soll und reicht nicht nur eine unbefriedigende Erklärung für den Plot ein, sondern lässt den Film allmählich versickern. Trotzdem: Die erste Stunde ist eine Sichtung auf alle Fälle wert.

 

5. Hoyaman (Japan 2023)

Worum geht’s? Die Brüder Akira und Shigeru führen ein armes, aber glückliches Leben auf ihrer ruhigen, malerischen Heimatinsel. Doch damit ist Schluss als die bekannte Mangazeichnerin Miharu eintrudelt: Stets schlecht gelaunt und unverschämt und zudem völlig versoffen. Die Zeichnerin kauft den Brüdern die Hälfte des Hauses ab und nistet sich bei ihnen ein….was natürlich für Turbulenzen sorgt, die nicht weniger werden, als Akira eines Tages beschließt, den einst von seinem Vater erfundenen Superheld Hoyaman zu reaktivieren und ein paar Kurzfilme für Youtube zu drehen …

Lohnt sich? Ja! Ich war nach wenigen Minuten hin- und weg. Eine wunderbare, äußerst sympathische Besetzung (Akira wird sehr kompetent von Afro gespielt, eine Hälfte des Rap-Duos Moroha), locker-entspannte Semi-Urlaubsatmosphäre, drollige Ausflüge ins Surrealistische, schrulliger Humor – Herz was will man mehr? Übellaunige Kritiker meinen, dass es ein Fehler ist, dass der Film die naive Position der Brüder einnimmt und die Figuren etwas arg einfach, nicht komplex genug zeichnet. Mag sein, aber das ist mir bei soviel Charme egal. Schwerer wiegt, dass dem Film, der auf einnehmende Weise um das Thema Familie kreist, in den letzten 20 Minuten einfällt, dass man noch etwas Drama, „Relevanz“ braucht, hier ändern sich dann Tonfall und Optik und das klappt nicht so gut. Aber trotzdem: Ich kann „Hoyaman“ einfach nicht böse sein – der Film hat ein riesengroßes Herz und eine unglaublich putzige Superheldenfigur.

 

6. Visitors - Complete Edition (Japan 2023)

Worum geht’s? Eine Rockband trifft unangekündigt bei einem Freund ein und landet in einem blutigen Dämonen-Chaos … irgendwie so …

Lohnt sich? Tjaaaaahaha, irgendwie schon, aber wohl nur für eine ganz bestimmte Klientel. Man sollte auf blutige Horrorfilme stehen und eine Liebe zu … ich sag mal Helge Schneider wäre auch nicht verkehrt. Im Film hat zwar Lloyd Kaufman, seines Zeichens Chef der flippigen B-Film-Schmiede Troma einen überraschenden Kurzauftritt, ich bin mir aber nicht so ganz sicher, ob Tromafans automatisch den hier mögen werden. Der Punkt ist: Troma ist zwar für Horrorkomödie bekannt, aber eben für Horrorkomödien mit ordentlich Geschmadder und „Visitors – Complete Edition“, die erweiterte Version eines Kurzfilms von 2021 fängt zwar als sehr suppiges „Der Exorzist“ meets „Tanz der Teufel“-Mashup an, ergibt sich dann aber, was mir ausgesprochen gut gefallen hat, eben nicht der Überbietungslogik solcher Filme, sondern macht ein Vollbremsung und eine Kehrtwende in Richtung ans Dadaistische grenzende Horror-Komik und zeigt dabei den ganzen Grindhouse-Nasen wie man sich ganz offen bei Vorbilder bedienen, aber trotzdem was ganz Eigenes abliefern kann. Das ist natürlich super-wild, wirklich völlig drüber, wenn aber im Finale der Monolith aus „2001: Odysee im Weltraum“ einen denkwürdigen Gastauftritt hat, hätte sich höchstwahrscheinlich auch Kubrick ein Schmunzeln nicht verkneifen können. Schön zudem: Regisseur Ken’ichi Ugana weiß – und das macht schon viel aus – wann der Bogen zu überspannen droht und lässt nach gerade mal 61 Minuten den Abspann rollen. Vorbildlich.

Abb. ganz oben: „Hoyaman“

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