„Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“
Mit Sarah Brooks’ Transsibirien-Express in die Gefilde von Lovecraft, Miyazaki und VanderMeer
In Sarah Brooks’ Roman „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ (im Shop) fährt Ende des 19. Jahrhunderts ein Luxuszug für die Transsibirien-Kompanie von Peking nach Moskau, transportiert Menschen, Kostbarkeiten und Schmuggelware über die Kontinente. Doch die Strecke hat sich in der alternativen Historie, ja, der Alternativwelt von Brooks und ihrem Buch verändert: Inzwischen führen die Gleise genau durch das berüchtigte Ödland (Wastelands im Original), wegen dem sogar die chinesische Mauer ein Stück weit versetzt wurde. So öde oder spröde, wie der titelgebende Name suggeriert, ist dieses kaum erforschte, die Spekulationen und die Albträume befeuernde Gebiet allerdings nicht. Viel mehr wimmelt es darin vor merkwürdigen, faszinierenden, unglaublichen, gefährlichen Mutationen bei Flora und Fauna – andersartigen Insekten, Vögeln, Pilzen und vielen weiteren Dingen …
Nach einer geheimnisumwitterten Beinahe-Katastrophe und einem längeren erzwungenen Stopp in Peking, steht für den Transsibieren-Express nun wieder eine Fahrt durchs Ödland an. Im Zug befinden sich neben der stolzen, eingeschworenen Crew eine ermittelnde falsche Witwe, eine mittels Klatsch zündelnde Gräfin, ein obsessiver Naturforscher, ein grimmiger Priester, ein freundlicher Kartograf, ein französisches Pärchen, ein alter Professor, ein auf dem Zug geborenes und aufgewachsenes Mädchen, und ein blinder Passagier. Sie alle erwartet, wie die Lesenden, eine unvergessliche Zugfahrt durch eine tolle Geschichte sowie das Weird-Fiction-Genre, und das definitiv Erster Klasse. Denn der Zug und die Menschen beeinflussen das Ödland, und das Ödland alles, was es durchquert …
Die Engländerin Sarah Brooks studierte Chinesisch, anschließend unterrichtete sie Englisch in China, Japan und Italien, bevor sie nach Leeds zurückkehrte und ihre Doktorarbeit schrieb. Heute lehrt sie East Asian Studies an der University of Leeds, wo sie auch als Deputy Director des Leeds Centre of New Chinese Writing fungiert. Seit einer Teilnahme am berühmten Clarion West Writer’s Workshop im Jahr 2012 veröffentlicht sie auch Kurzgeschichten. Ihr erster, gleich in 15 Sprachen übersetzter Roman „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ begann seine literarische Reise als Story mit dem Titel „Trans-Siberia: An Account of a Journey, with Added Notes from The Cautious Traveller’s Guide to Greater Siberia“, die 2013 im Science-Fiction-Magazin „Interzone“ veröffentlicht und 2014 in der Jahresbesten-Anthologie „The Best British Fantasy 2014“ aufgenommen wurde.
Unterwegs wurde aus der Geschichte ein wirklich wunderbares Buch: Die beste – nicht nur –literarische Zugfahrt und Reise, die Sie in diesem Urlaub, diesen Ferien, diesem Sommer machen können, mit so viel Dampf wie Charme und Sense of Wonder. Beim Lesen fühlt es sich an, als würde man mit dem legendären Orient-Express von Agatha Christie (in Shop) direkt ins Traumland von H. P. Lovecraft (im Shop) heizen, oder mit Jules Verne (im Shop) in die Area X der Southern-Reach-Serie von Jeff VanderMeer – all dies mit ein paar längeren Bahnhof-Aufenthalten bei den Animefilmen des Studio Ghibli um Hayao Miyazaki (im Shop) und bei den Werken von China Mieville, allen voran „Das Gleismeer“ (im Shop).
Brooks’ „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ präsentiert sich die gesamte Fahrt über geschmeidig und spannend, und obendrein als echter Pageturner. Klassisch und zeitlos im Ansatz, modern in der Durchführung, magisch im Lese- und Reiseerlebnis. Rundum großartige Weird Fiction – bei dieser fantastischen Bahnfahrt feiert man ausnahmsweise jedes Problem auf der Strecke, jede unvorhergesehene Verspätung.
Da kann man nun eigentlich nur noch sagen: Alle einsteigen …
Sarah Brooks: Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland • Roman • Aus dem Englischen von Claudia Feldmann • C. Bertelsmann, München 2024 • 416 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 24,00 € • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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