„Nuestros Tiempos“ – Mit der Zeitmaschine zur Emanzipation
Nette Unterhaltung mit dem Herz am rechten Fleck
In vielen, vielleicht den meisten, Zeitreise-Filmen geht’s für die Protagonisten in die Vergangenheit um Probleme der Gegenwart zu fixen, in „Nuestros Tiempos“ führt eine Reise in die Zukunft zur Erkenntnis, dass man die Vergangenheit hinter sich lassen muss, um aus der Gegenwart das Bestmögliche herauszuholen.
Zumindest gilt das für Nora Cervantes, eine Physik-Professorin, die im Jahr 1966 tätig ist und zusammen mit ihrem Mann Héctor an der Uni seit Jahren an einer Zeitmaschine arbeitet, im Gegensatz zu ihm allerdings nicht für voll genommen wird, da halt Frau. Das wird auch beim Besuch des Dekans deutlich, der sich nach dem Stand des Dauerprojekts erkundigt: Er lobt Noras Kochkunst, ihre Ansichten interessieren ihn aber deutlich weniger.
Kurz bevor der Geldhahn abgedreht wird, bringt das Paar die Maschine jedenfalls zum Funktionieren und landet versehentlich im Jahr 2025, wo die beiden nicht nur mit technischen Errungenschaften wie Smartphones und Laptops bekannt gemacht werden, sondern erfahren, dass sich im Verhältnis zwischen den Geschlechtern und beim Umgang mit Sex so einiges geändert hat. Nora findet immer mehr Gefallen an der neuen Welt und kann sich auf der Uni, an der jetzt ihre vormalige Studentin Julia den Ton angibt, endlich mal so richtig und mit großem Erfolg entfalten, womit Héctor allerdings nicht zurechtkommt – denn der findet sich mit einem Mal in der vormaligen Rolle seiner Ehefrau wieder und spielt in der Wahrnehmung der Leute nur die zweite Geige …
Die mexikanische Produktion könnte nicht näher am Puls der Zeit liegen, fragile Männlichkeiten sind nicht nur dank Andrew Tate ein großes Thema, aber der Status Quo hätte eigentlich viel mehr Schärfe, mehr Biss erfordert. So kommen in Héctor zwar unangenehme Verhaltenszüge zum Vorschein, er eröffnet ungefragt einen Uni-Vortrag seiner Frau zum Weltfrauentag mit einer peinlichen, sexistischen Ansprache, lässt gleich darauf den Mansplainer raushängen und leistet sich etwas später zudem ein besoffen-jammriges „früher war alles besser“-Handyvideo, dennoch wird er nie so richtig unsympathisch. Er bleibt irgendwie, irgendwo ein Netter, was durch ein putziges, wenn auch nicht so wirklich stimmiges Kitsch-Finale noch bekräftigt wird. Das macht die emanzipatorische Grundhaltung des Films zwar nicht unglaubwürdig, lässt sie aber etwas oberflächlich erscheinen.
Wenn man sich nun vor Augen hält, das Héctor von Benny Ibarra und Nora von Lucero gespielt werden, zwei im von Gewalt gegen Frauen und Femiziden geprägten Mexiko durch Kino, Fernsehen, Musik und Theater bekannte Megastars, ein Umstand, der vermutlich den meisten deutschen Zuschauern entgehen wird, da außerhalb des Landes weniger bekannt, wird klar, das die beiden sich zwangsläufig, wenngleich Jahrzehnte später, mit Herzchen in den Augen wieder in die Arme fallen. Der inhaltliche Kern, das Female-Empowerment-Motiv, ist sicherlich absolut ehrlich gemeint, musste angesichts der Starpower aber wohl einfach mit allerflauschigster Entertainment-Watte ummantelt werden, die einen nichtsdestotrotz schnell abholt.
Die beiden attraktiven, charismatischen Stars versprühen leichte Hepburn/Tracy-Vibes, die für Filme dieser Art typischen fish-out-of-water-Momente in der neuen Zeit sind amüsant ohne je ins Klamottige abzurutschen und natürlich gibt’s auch feuchte Augen, doch so richtig rührselig wird’s nie – es handelt sich einfach um gut ausbalancierte, nette Unterhaltung mit dem Herz am rechten Fleck, was Netflix offenbar zu wenig war: Der Film ist nur unter dem Originaltitel zu finden und es gibt keine deutsche Synchronisation.
Nuestros Tiempos • Mexiko 2025 • Regie: Chava Cartas • Darsteller: Lucero, Benny Ibarra, Renata Vaca, Ofelia Medina, Hugo Albores, Roberto Blancarta, Guadalupe Damián • Netflix
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