15. Juli 2025

„Mein Bericht aus dem Spanischen Bürgerkrieg“ - Orwell und der Große Bruder

Ein spannender Bericht aus dem Krieg – und der Ursprung von „1984“

Lesezeit: 3 min.

Zum Begriff Spanischer Bürgerkrieg dürfte den meisten vermutlich nur Franco einfallen und vielleicht noch Guernica, das berühmte Gemälde von Pablo Picasso. Doch abgesehen davon, dass mit dem Bürgerkrieg der späten 30er Jahren die jahrzehntelange Diktatur in dem südeuropäischen Land begann, veränderte sich mit ihm auch die Wahrnehmung eines der einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts, dessen bekanntestes Werk wohl ohne seine Erfahrungen in Spanien nicht entstanden wäre: George Orwell und „1984“ (im Shop).

„Homage to Catalonia“ lautet der Originaltitel des biographischen Berichts, den Orwell 1938 veröffentlichte und der nun in einer deutschen Neuausgabe („Mein Bericht aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Hommage an Katalonien“, im Shoperscheint, ein Titel, der andeutet, mit welchem Idealismus der damals 33jährige Autor Ende 1936 nach Spanien kam, um am Krieg teilzunehmen. Ein Akt des Widerstandes gegen den aufkommenden Faschismus in Europa, den viele Intellektuelle und Idealisten, sicher auch manche Abenteurer, machten, vermutlich auch noch von der Faszination für den scheinbar heroischen Gedanken an „Krieg“ getrieben, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht all seine mystischen Qualitäten verloren hatte.

Auf gut 300 Seiten beschreibt Orwell in klarer, pragmatischer Sprache seine Erlebnisse während der wenigen Monate, die er am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm – mehr oder weniger. Denn auch wenn er mehrere Monate an der Front stationiert war, „richtigen“ Krieg erlebte er nie. Dass Leben in den Schützengräben war langweilig und karg, Essen war ebenso knapp wie Munition, gelegentliche Ausflüge ins Niemandsland durchbrachen die Langeweile. Am Ende wurde Orwell dennoch schwer verwundet: Eine versprengte Kugel durchschlug seinen Hals, nach einigen Wochen im Krankenhaus kehrte er nach Barcelona zurück.

Und hier wird es dann wirklich interessant, denn bei Orwells Rückkehr hatte sich die katalanische Hauptstadt fundamental verändert, verkörperte nicht mehr das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft, für die Orwell kämpfen und auch sterben wollte, sondern zeigte schon Anzeichen für die Grabenkämpfe anderer Art, die ihn zum Autor von „1984“ machen sollten. Hatten sich bei seinem ersten Besuch in Barcelona die Menschen noch mit „du“ und „Kamerad“ angesprochen, als Zeichen der Gleichheit zwischen den gesellschaftlichen Schichten, war man ein Jahr später wieder zum formelleren „Sie“ und „Herr“ zurückgekehrt. Die Klassenunterschiede waren wieder spürbar, doch viel entscheidender war für Orwell, dass die internen Kämpfe unter den Gegnern des Diktators Francos wichtiger wurden, als der Kampf gegen Franco selbst. Orwell selbst war, eher zufällig, Teil der POUM geworden, der Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit, eine von vielen mit Akronymen wie CNT, PSUC oder FAI bezeichneten Gruppen, die mal mehr dem Anarchismus, mal mehr dem Trotzkismus oder einer anderen Ideologie zuneigten. Ein wenig fühlt man sich hier an „Das Leben des Brian“ erinnert, wo sich die Volksfront von Judäa und die Judäische Volksfront lieber gegenseitig die Köpfe einschlagen, als gegen den gemeinsamen Feind, in ihrem Fall die Römer, zu kämpfen.

So erging es dann auch Orwell und seinen Kameraden aus der POUM, die auf einmal diskreditiert war und deren Anführer Andreu Nin von Stalinisten entführt, gefoltert und ermordet wurde. All dies geschah nicht zuletzt auf Anordnung von Moskau, denn der Einfluss des, ja, großen Bruders, war auch im fernen Spanien zu spüren – und sorgte für Orwells Desillusionierung mit den kommunistischen Idealen.

Auf den Punkt bringt Orwell in den hier vorliegenden Zeilen diesen Wandel zwar noch nicht, sein Bericht aus dem Spanischen Bürgerkrieg endet mit der Flucht über die Grenze nach Frankreich. Doch für den modernen Leser macht gerade das Wissen um das, was folgte, so spannend. So wie der frühere Text „Tage in Burma“ unterschwellig Orwells Wandel vom patriotischen Briten zum Antiimperialisten beschrieb, lässt sich in „Mein Bericht aus dem Spanischen Bürgerkrieg“ sein Wandel vom Kommunisten zum Autor von „1984“ nachvollziehen. Was als Akt des Idealismus begann, wird so zu einer desillusionierenden Erfahrung, die Orwell nach seinem frühen Tod im Jahre 1950 unsterblich machen sollte.

George Orwell: Mein Bericht aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Hommage an Katalonien • Aus dem Englischen von Jan Strümpel • Anaconda, München 2025 • 320 Seiten • Hardcover • 9,95 € • im Shop

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