„Bugonia“ – Außerirdisch oder Verschwörungstheoretiker?
Einmal mehr erweist sich Yorgos Lanthimos als unfassbar witziger Zyniker
Bugonia, auf Deutsch Bugonie, bezeichnete in der Antike, besonders in Griechenland, die Vorstellung, dass aus einem verwesenden Körper ein Bienenvolk entstehen würde. Angesichts dieser vermutlich eher sagenhaften als realen Vorstellung passt es ausgesprochen gut, dass „Bugonia“, der neue Film des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos mit Aufnahmen von Bienen beginnt, zu denen eine Stimme über die Bedeutung von Bienen für die Landwirtschaft und damit natürlich auch für die Menschheit und ihr Überleben erzählt.
Die Stimme gehört Jessy Plemons, der Teddy spielt, der schon angesichts seines etwas ungewaschen wirkenden Äußeren, seiner langen, wirren Haare und seines stets etwas manischen Blicks wie ein Verschwörungstheroetiker wirkt, wie ein Qanon-Anhänger, ein Querdenker, ein Impfskeptiker. Zusammen mit seinem mehr als tumb wirkenden Cousin Donny (Aidan Delbis) lebt Teddy in einem abgelegen Haus, wo er sich seinen Phantasien hingebt und einen Racheplan schmiedet.
Ziel ist Michelle Fuller (Emma Stone) Chefin des Pharmaunternehmens Auxolith, den Teddy für das Unglück seiner im Koma liegenden Mutter verantwortlich macht. Doch das ist nicht alles, denn Teddy ist felsenfest davon überzeugt, dass Michelle Fuller nicht einfach nur eine verantwortungslose Unternehmerin ist, der das wirtschaftliche Wohl ihrer Aktionäre weit mehr bedeutet als die Gesundheit durchschnittlicher Menschen, nein, Teddy glaubt, dass Michelle ein Alien ist.
Und wenn er dann Michelle entführt und in den Keller seines Hauses gesperrt, sie mit Antihistaminika-Creme eingeschmiert und ihr vor allem die Haare abgeschnitten hat, muss man angesichts der schon in etlichen Lanthimos-Filmen so eindrucksvoll zur Geltung gekommenen Physiognomie Emma Stones auch sagen: Ja, ein wenig außerirdisch wirkt die Schauspielerin gerade mit Glatze schon.


Wer nun den koreanischen Film „Save the Green Planet!“ kennt, auf dem „Bugonia“ basiert, weiß worauf die Geschichte hinausläuft, wer sich an ein Zitat aus Joseph Hellers „Catch-22“ erinnern mag, ebenfalls: „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind!“ Man will zwar nicht das völlig abgedrehte Ende verraten, dass die Sprache verschlägt, aber das Yorgos Lanthimos ein viel zu kluger Regisseur ist, um eine auf den ersten Blick wie ein dümmlicher Verschwörungstheoretiker wirkende Figur wie Teddy tatsächlich einfach nur als dümmlichen Verschwörungstheoretiker zu zeigen, dürfte klar sein.
Fast wie ein Kammerspiel entwickelt sich im Keller ein Duell zwischen Teddy und Michelle, bei dem zwei auf den ersten Blick wenig sympathische Figuren aufeinandertreffen. Jemanden zu entführen, wirkt dabei ebenso wenig akzeptabel wie ein geldgieriges Unternehmen zu führen, der Glaube, es mit einem Alien, genauer gesagt einem Vertreter des Planeten Andromeda, zu tun zu haben, ebenso absurd wie zu denken, dass die Pharmaindustrie allein das Interesse der Patienten im Sinn hat.
Wenn sich das anhört, als hätten beide Seiten eine Macke, als wäre ihnen und mit ihnen der ganzen Menschheit nicht mehr zu helfen, dann kommt man der mehr als skeptischen Weltsicht Yorgos Lanthimos schon sehr nahe. Seit er vor nunmehr gut 20 Jahren begann, kleine, obskure Filme in seiner Heimat zu drehen, hat sich der Grieche als scharfer, oft auch zynischer Beobachter der menschlichen Natur und ihrer Abgründe erwiesen.
Eigentlich ein Wunder, dass Lanthimos’ Filme dennoch nicht unerträglich wirken, im Gegenteil. Mit soviel Witz und Originalität die finstersten Aspekte des menschlichen Wesens darzustellen muss man erst einmal hinbekommen und das gelingt Lanthimos auch in seinem haarsträubend absurden „Bugonia“ wieder ausgezeichnet.
Abb.: Universal Pictures Germany
Bugonia • USA/Südkorea/Kanada/UK/Irland • Regie: Yorgos Lanthimos • Darsteller: Emma Stone, Jesse Plemons, Aidan Delbis • im Kino
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