22. April 2012

Traumtänzer auf Endlosschlaufe

Gero Reimanns „Sonky Suizid“

Lesezeit: 4 min.

Um es gleich vorweg zu sagen: »Sonky Suizid« ist einer der düstersten Romane, die 2011 erschienen sind. Immerhin verarbeitete Gero Reimann damit nicht nur seine eigene Krebserkrankung, sondern auch seine Sichtweise der bundesdeutschen Gesellschaft der Achtzigerjahre, die ihm wohl ebenfalls zutiefst krank erschien. Und gleichzeitig setzte er sich mit jener Frage auseinander, die auch den von ihm bewunderten Philip K. Dick zeitlebens umtrieb: der Frage nach der Realität.

Dass »Sonky Suizid« alles andere als ein gewöhnlicher phantastischer Roman ist, darf bei diesen Themen nicht weiter verwundern. So ist es nahezu unmöglich, die Handlung in wenigen Worten adäquat wiederzugeben. Sonky Suizid ist nicht nur der Titel des Buches, sondern gleichzeitig der Name der Hauptfigur, die natürlich beileibe kein herkömmlicher Held ist. Um seine im Sterben liegende Tante Dorrit noch einmal zu sehen, reist Sonky in eine »typische« bundesrepublikanische Stadt der Achtzi­gerjahre. Als »Handgepäck« führt er zwei Munitionskisten mit sich, die sinnbildlich für die Schrecken der Weltkriege stehen und – wenn geöffnet – eine realitätsverändernde Wirkung entfalten. Gemeinsam mit der jungen Frau Karin, die er zufällig kennenlernt, entführt Sonky nicht nur seine todgeweihte Tante, sondern auch den ebenfalls im Sterben liegenden Selbstmörder Harald aus einer Klinik. Natürlich hauchen Letztere ohne medizinische Hilfe schnell ihr Leben aus, sodass Sonky von nun an neben der lebenslustigen Karin auf seinem (Irr-)Weg durch die Stadt von zwei Zombies begleitet wird.

Schließlich findet diese reichlich merkwürdige Gesellschaft Unter­schlupf in einem alternativen Kulturzentrum. Der an Krebs erkrankte Sonky macht sich immer mehr daran, mithilfe seiner Munitionskisten die scheinbare Realität zu zerstören: »Ich habe Krebs, weil ich nicht leben will, weil ich sterben will. Aber der Krebs, der meinen Körper zerstört, wie das Alter normalerweise die Menschen auflöst, ist unversöhnlich, ist wildgewordene Information, ist unerbittlich. Mein Krebs ist bedingt durch meine Wahrnehmung und meine Wahrnehmung ist verursacht durch meine schlechte Konditionierung. Eingespeichert in den zwei Munitionskisten, festgeschrieben, lagert der ganze Syph der verrotteten Geschichte. Massenmord. Brennöfen. Es hört ja nie auf. Der Krebs zerstört mich, verwandelt mich, und zugleich verformt er die Welt, die gesamte Schöpfung. Ich bin zum Gott geworden. Zum Gott des Todes … Zu einem Traumtänzer auf einer Endlosschlaufe. Ich werde nicht mehr ruhen, bis ich alles zerstört, alle Informationen restlos verbraucht habe.«

Während bei Philip K. Dick die Realität als solche vom Zerfall bedroht ist bzw. lediglich ein Trugbild darstellt, zerfällt bei Reimann die individuelle, private Existenz – die persönliche Realität jedes Einzelnen wird durch den unvermeidlichen Tod aus­gelöscht. Es schert Reimanns Figuren nur wenig, dass ihre Welt unwirklich ist, da die »reale« Bedrohung durch den Tod schließlich viel furchtbarer ist, als es das Spiel mit der Realität je sein könnte. Immerhin sind hier die Spielregeln mehr als klar und laufen zwangsläufig auf das immer gleiche unausweichliche Ergebnis hin­aus. Bei aller Düsternis ist »Sonky Suizid« jedoch nicht gänzlich ohne Hoffnung: »Wir sind aber nicht mehr tot … Wir leben, wir leben in einer Einbildung, aber wir leben.«

Gero Reimann verfasste »Sonky Suizid« bereits 1983 und bot ihn vergeblich verschiedenen Verlagen an. Etwa ein Jahr vor seinem Tod im August 2009 (den er sicher ahnte, da seine Krebserkrankung erneut ausgebrochen war) digitalisierte und überarbeitete er das Manuskript, sodass dieses für ihn offensichtlich persönlich sehr wichtige Werk wenigstens noch posthum erscheinen konnte. »Sonky Suizid« kann damit durchaus als Vermächtnis eines der interessanteren deutschen SF-Autoren bezeichnet werden. Der 1944 in Lódz geborene Gero Reimann veröffentlichte vor allem in den Achtzigerjahren einige gelungene Storys in Anthologien unter anderem bei Moewig und Heyne. Daneben legte er einige recht eigenwillige Kolumnen in dem Magazin Phantastische Zeiten vor. Sein Roman »Lila Zukunft und hellgelbe Liebe«, der 1984 ebenfalls bei Heyne herauskam, dürfte zu den originellsten Werken der bundesdeutschen Science-Fiction zählen und kann auch heute noch mit ei­nigem Vergnügen gelesen werden. In »Dick«, einer »Opernerzählung«, die im selben Jahr im id-Verlag erschien, beschäftigte er sich mit dem Leben und Sterben Philip K. Dicks. Später wurde es eher still um Reimann, nur dann und wann fand sich eine Kurzgeschichte in der Computerzeitschrift c’t oder dem SF-Magazin Nova. Das Erscheinen von »Sonky Suizid« hat Gero Reimann leider nicht mehr erlebt.

Nicht unerwähnt bleiben sollen das lesenswerte Vorwort von Winfried Czech und die passenden, an manche Werke Alfred Kubins erinnernden, surrealen Illustrationen von Caroline Kohler.

Gero Reimann: Sonky Suizid • Roman · Shayol Verlag, Berlin 2011 · 251 Seiten · € 17,90

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