1. April 2014 2 Likes 1

Alternative für Deutschland

Wieder einmal heißt es: Was wäre, wenn…?

Lesezeit: 2 min.

Alternativweltszenarien gehören zum Faszinierendsten, was die Science-Fiction zu bieten hat. Das Genre der kontrafaktischen Geschichtsschreibung, in dem die Historie und ihre Schlüsselmomente bzw. Schlüsselfiguren von den Autoren wie Knetmasse verformt und alternative Zeitlinien mit völlig anderem Verlauf und Ausgang installiert und durchexerziert werden, ist extrem vielseitig, wie schon seine Klassiker zeigen: Philip K. Dicks „Das Orakel vom Berge“, Robert Harris’ „Vaterland“, Otto Basils „Wenn das der Führer wüsste“, Ward Moores „Der große Süden“, Norman Spinrads „Der Stählerne Traum“, William Gibsons und Bruce Sterlings „Die Differenzmaschine“ (im Shop). Und während Matt Ruff in seinem Alternativwelt-Highlight „Mirage“ aktuell eine brillante Spiegelwelt um den viel zitierten Krieg gegen den Terror offeriert, legen Hannes Stein mit „Der Komet“ (gerade auch als Taschenbuch erschienen) und Marcus Staiger mit „Die Hoffnung ist ein Hundesohn“ in ihren Romandebüts zwei komplett verschiedene Ansätze für Alternativweltgedankenspiele vor, die um Deutschlands jüngere bzw. Europas ältere Geschichte kreisen.

Der 1965 in München geborene, in Salzburg aufgewachsene Stein lässt in „Der Komet“ kurzerhand den Ersten Weltkrieg ausfallen und widmet sich mit gutem Humor und sensationellem Sprachgefühl dem Werdegang des guten, alten zentralen Europas, das hätte sein und prächtig weiter gedeihen und expandieren können, wenn das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand schiefgelaufen und demnach alles anders gekommen wäre – das als Vielvölker-Schaltzentrale die moderne Welt und sogar den Weltraum verändert hätte.

Weniger elegant und weit düsterer und beklemmender als Steins detailverliebter Blick durch die kräftig durchgeschüttelte Schneekugel der Geschichte kommt der Roman-Erstling des 1971 geborenen Staiger daher, der bisher in erster Linie als Journalist sowie als Wegbereiter des Berliner Raps in Erscheinung trat. In „Die Hoffnung ist ein Hundesohn“ hat die Wende nie stattgefunden – 2012 ist Deutschland immer noch geteilt, und Helmut Kohl immer noch Kanzler. Staigers Alternative für die deutsche Nachkriegsvergangenheit ist unterm Strich eine Dystopie um ein kaputtes System und konzentriert sich auf entsprechend kaputte Protagonisten, was sich nicht zuletzt in einigen deftig-derben Szenen widerspiegelt.

Welche stilistische und thematische Variante, ja welche ästhetische Annäherung an das Subgenre man letzten Endes auch bevorzugen mag: „Der Komet“ und „Die Hoffnung ist ein Hundesohn“ zeigen gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit, wie viel Abwechslung und Potential noch heute in literarischen Alternativweltvorstellungen liegen, und dass es selbst nach all den Jahren zu dieser SF-Disziplin eigentlich keine Alternative gibt – und glücklicherweise keinerlei Beschränkungen, in welchem historischen Moment der Hebel angesetzt und die Geschichte zum Konjunktiv wird.

Hannes Stein: Der Komet • KiWi, Köln 2014 • 272 Seiten • € 8,99

Marcus Staiger: Die Hoffnung ist ein Hundesohn • Mfm Entertainment, Frankfurt 2014 • 324 Seiten • € 19,90

Kommentare

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Ja, deutsche Alternativhistorien geben natürlich eine Menge her. Phänomenal ist ja Christian Krachts "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten", in dem wir in eine kommunistisch aufgerüstete Schweiz eintauchen.
Und als Wende-Alternativroman funktioniert großartig Simon Urbans "Plan D", in dem ein abgehalfterter Ossi-Ermittler die Machenschaften einer dahinalternden DDR aufdeckt. Beides großartige Lektüren!

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