21. Januar 2015 2 Likes

Music to Wake the Dead

Neu aufgelegt: George R. R. Martins Roman „Armageddon Rock“

Lesezeit: 3 min.

1971 fand die Karriere der Nazgûl, der heißesten Rockband ihrer Zeit, ein jähes Ende, als Frontmann Pat „Hobbit“ Hobbins bei einem riesigen Open-Air-Konzert von einem Scharfschützen auf der Bühne erschossen wurde. Mit ihm starben die Träume, die Hoffnungen und der Spirit einer ganzen Generation. Als der Manager der Nazgûl auf den Tag genau dreizehn Jahre später einem grausamen Ritualmord zum Opfer fällt, wittert der frustrierte Ex-Musik-Journalist und inzwischen zum Romanautor gewordene Sandy Blair eine große Story, lässt seinen stockenden dritten Roman links liegen und fährt quer durchs ganze Land – er besucht die übrig gebliebenen Nazgûl und seine alten Freunde aus den Zeiten der Hippie-Bewegung. So erfährt er von dem Plan, den Nazgûl zu einem Comeback zu verhelfen, das weit mehr sein soll als ein schlichtes Rock-Revival. Doch ist die Rückkehr der Band der Reset-Knopf, um die letzten zehn Jahre vergessen zu machen und die Menschheitsgeschichte zum Besseren zu verändern, oder warten am Ende bloß der blutige, chaotische Wahnsinn von Armageddon und der letzte zum Weltuntergang führende Kampf von Gut und Böse?

Bestseller-Autor George R. R. Martin ist der Mann, auf den die zeitgenössische Fantasy heutzutage oft genug reduziert wird. Dass er die Mythologie der Rockband seines Romans „Armageddon Rock“ (Orig.: „Armageddon Rag“) aus dem Jahre 1983, der alles andere als ein Bestseller war, komplett auf dem Werk seines „Vorgängers“, Fantasy-Allvater J. R. R. Tolkien, aufgebaut hat, ist genauso ironisch und witzig, wie die fiktive Band-Historie der Nazgûl beeindruckend ist. Überhaupt, wie Martin die Rock-Szene der Siebziger beschreibt und Musik als Stilmittel in seinem Buch verwendet, das ist äußerst gelungen, selbst wenn der zwischen Roadmovie und Krimi verankerte Roman mit der Dark-Fantasy-Orientierung nach 30 Jahren hier und da ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt und Martins Abrechnung mit den Hippies und womöglich seinen eigenen Träumen und Traumata streckenweise etwas zäh und langatmig daher kommt. Immerhin, Sandy Blairs geradezu apokalyptische Visionen, die ihn auf seiner Suche nach mehr als einer Wahrheit heimsuchen, können es durchaus mit den besten realitäts-durchschneidenden Sequenzen dieser Art von Fritz Leiber aufnehmen, und das soll was heißen.

Martin war 1983 allerdings kein Edelstilist, und heute ist er, wenn wir ehrlich sind, immer noch keiner – an manchen Formulierungen hängt er dafür einfach zu sehr, und man merkt, wie sie sich beim Lesen abnutzen. Doch der 1984 geborene Amerikaner versteht es nunmehr schon seit 40 Jahren, ein gutes Garn zu spinnen und eine packende Story zu erzählen, egal in welchem fantastischen Subgenre. Das beweist die aktuelle Werkausgabe seiner Erzählungen (im Shop) im selben Maße wie die Neuauflage seines SF-Episoden-Romans „Planetenwanderer“ (im Shop), oder eben diese schön aufgemachte Golkonda-Neuausgabe von „Armageddon Rock“, die im Übrigen eine durchgesehene, überarbeitete Fassung von Peter Roberts bereits bei FanPro und Heyne genutzter deutschsprachiger Übersetzung präsentiert und als erschwingliches Paperback mit Klappenbroschur sowie als kostspieliges, da limitiertes und signiertes Leder- oder Leinen-Hardcover erhältlich ist. Ohne den Mainstream- und Multimedia-Erfolg von „Das Lied von Eis und Feuer“, so viel ist sicher, gäbe es keine dieser „Revival-Ausgaben“ von Martins älteren Songs, die seine Entwicklung und Vielseitigkeit dokumentieren und fraglos in die Genre- und die Martin-Plattensammlung gehören. Schön, dass George R. R. Martins Geschichten aus der Zeit vor dem phänomenalen Erfolg seiner alles konsumierenden, alles überschattenden Bestie von einem Fantasy-Epos wieder zu moderaten Preisen und nicht bloß antiquarisch oder gar lediglich auf Englisch zugänglich sind. Selbst wenn viele derer, die der neuesten „Game of Thrones“-Staffel im iTunes-Store oder im Pay- oder Free-TV entgegenfiebern, womöglich nichts mit Büchern wie „Armageddon Rock“ anfangen können – ohne dass das etwas über dessen Qualität oder den wahren Wert der Neuedition aussagt.

Am Ende lässt sich vom ersten erdachten Nazgûl-Album, Hot Wind Out Of Mordor, ein schönes Fazit für diese Neuauflage von GRRMs ungewöhnlichem Mix aus Musik- und Zeitgeschichte, Roadmovie, Krimi und dunkler Fantastik mit einem Blick auf den möglichen Weltuntergang ableiten: Denn „Armageddon Rock“ ist trotz einiger anstrengender Längen und Makel unterm Strich nach wie vor Hot Shit Far From Westeros!

George R. R. Martin: Armageddon Rock • Golkonda, Berlin 2014  • 391 Seiten • € 16,99

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