24. Juni 2015 3 Likes 3

Friedhof der Raumschiffe

Was passiert eigentlich mit Raketen, Satelliten und Raumstationen, wenn ihre Zeit im Orbit vorbei ist?

Lesezeit: 4 min.

Wo immer wie Menschen hingehen, produzieren wir Müll. Das trifft natürlich auch auf den Weltraum zu, was nicht erst seit Gravity allgemein bekannt ist. Als „Weltraummüll“ werden alle Objekte im Orbit um die Erde bezeichnet, die keine Funktion mehr haben. Auch hier findet sozusagen Mülltrennung statt, dabei geht es nach der Größe: Wieviel Müll, der kleiner als 1 cm ist, unseren Planeten umkreist, weiß niemand so genau. Gut 500 000 Objekte sind zwischen einem und 10 Zentimetern groß – gefrorene Kühlflüssigkeiten beispielsweise oder Schrott, der beim Absprengen von Raketenstufen entstanden sind. Etwa 19 000 Objekte sind größer als 10 cm und für gut 98% der Gesamtmasse des Weltraummülls, die auf rund 5 500 Tonnen geschätzt wird, verantwortlich. Dazu gehören ausgebrannte Raketenstufen und kaputte Satelliten ebenso wie oder von Astronauten bei Außeneinsätzen verlorene Ausrüstung (Ed White, der erste Amerikaner, der einen Weltraumspaziergang machte, verlor einen Handschuh; die Raumstation Mir entsorgte ihren Abfall in Säcken im Orbit, und neben diversen Werkzeugen und sogar einer Zahnbürste kreisen auch einige Kameras um die Erde). Wieviel Müll es gibt, dessen Existenz nach wie vor geheim gehalten wird, weil er zum Beispiel von „Killersatelliten“ aus dem Kalten Krieg stammt, ist unklar. Schätzungen zufolge könnten das rund 7 000 Objekte sein. Die Gesamtmasse bleibt, obwohl jedes Jahr neuer Müll produziert wird, annähernd gleich, denn jedes Jahr verglüht ein gewisser Anteil des Orbitalschrotts in der Atmosphäre.

Zur Entsorgung respektive Endlagerung von Weltraummüll gibt es zwei Möglichkeiten, die sich im Wesentlichen nach der Flughöhe des ehemaligen Satelliten richten. Geostationäre Satelliten (Kommunikations- und Wettersatelliten beispielsweise), die die Erde in einer Höhe von 35.786 km umkreisen, werden auf einen Friedhofsorbit geschickt, der gut 300 Kilometer höher liegt. Dadurch räumen sie die begehrte Umlaufbahn für neue Satelliten. Würde man sie in eine tiefere Umlaufbahn lenken, sodass sie in die Erdatmosphäre eintreten könnten, bestünde Kollisionsgefahr mit anderen Satelliten im niedrigen Erdorbit. Müll im „low earth orbit“ (LEO), also in einer Höhe zwischen 160 und 2 000 Kilometern, lenkt man in die Atmosphäre, damit er verglüht.

Was aber passiert mit Objekten, die so groß sind, dass sie nicht vollständig verglühen würden – wie beispielsweise die ehemaligen Raumstationen? Die meisten von ihnen gehen in einer abgelegenen Region südöstlich von Neuseeland im Pazifik nieder, die von den Raumfahrtagenturen nüchtern als „South Pacific Ocean Uninhabited Area“ bezeichnet wird, aber auch als „Raumschiff-Friedhof“ bekannt ist. In diesem Gebiet gibt es keine Inseln, relativ wenig Schiffsverkehr und die nächsten Küsten sind Tausende Kilometer weit weg, egal, in welche Richtung – der ideale Ort also, um einen alten Satelliten sterben zu lassen. In dieser Region liegt „Point Nemo“, benannt nach dem Helden aus Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“. Dessen geheimes Hauptquartier liegt ebenso in dieser Gegend wie H. P. Lovecrafts versunkene Stadt R’yleh aus dem Cthulhu-Mythos.

Insgesamt ruhen 145 russische Progress-Raketen auf dem Meeresboden in gut vier Kilometern Tiefe. Dazu kommen 4 japanische HTV-Frachter und 5 Automated Transfer Vehicles der ESA. Die 5 russischen Salyut-Raumstationen und die Überreste der Mir liegen neben den Frachtraketen, die sie einst mit Nachschub versorgten und den Müll aus den Raumstationen mit zur Erde nahmen. Natürlich findet man keine intakten Wracks auf dem Meeresgrund, wie das bei gesunkenen Flugzeugen oder Schiffen der Fall wäre. Keines dieser Objekte war darauf ausgelegt, den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zu überleben. Durch die hohe Eintrittsgeschwindigkeit und den Luftwiderstand der Atmosphäre entsteht eine Reibungshitze, die sogar Gestein zum Schmelzen bringt. Das erste ATV der ESA beispielsweise, die Jules Verne, brach beim Wiedereintritt 2009 in 75 Kilometern Höhe auseinander. Die Trümmer schlugen 12 Minuten später in den Pazifik ein. Zwei Flugzeuge filmten den Absturz. Der bislang größte „Bewohner“ des Raumschiff-Friedhofes ist die russische Weltraumstation Mir – oder das, was von ihr übrig blieb. Die einstmals 143 Tonnen schwere Station trat 2001 nach über 15 Jahren Dienst in die Erdatmosphäre ein. Sie brach in 95 Kilometern Höhe auseinander und verbrannte, sodass letztendlich nur gut 20-25 Tonnen den Ozean erreichten. Wie man sich das vorzustellen hat, zeigt dieser Animationsfilm. Die Trümmer der Mir verteilen sich auf etwa 3 000 Kilometern Länge und einer Breite von gut 100 Kilometern. Einen konkreten Ort, den Taucher besuchen könnten, um Wracks zu erkunden, gibt es also nicht. Aber allein die Vorstellung ist irgendwie gruselig. Ob irgendwann die Unterwasser-Archäologen, die Schilder an Schiffs- und Flugzeugwracks in der Ostsee aufstellen, um Schatzsucher und Touristen davon abzuhalten, die Wracks zu plündern und dabei zu zerstören, auch den Raumschiff-Friedhof ausschildern werden?

Wenn ein Wiedereintritt bevorsteht, alarmiert die Weltraumagentur, die für das jeweilige Objekt verantwortlich ist, die Behörden in Chile und Neuseeland, die für den Verkehr in dieser Region der Erde zuständig ist. Es liegt dann an den Behörden, zu entscheiden, ob eine Warnung an Schiffe und Flugzeuge in diesem Gebiet herausgegeben wird. Eines Tages könnte auch die ISS, das bisher größte von Menschenhand gebaute Objekt im Orbit, ihre letzte Ruhestätte im Pazifik finden. Die liegt dann in vier Kilometern Tiefe. Bis dorthin dringen die Strahlen der Sonne nicht vor, es leben kaum Tiere in dieser Tiefe. Die Temperatur beträgt im Durchschnitt 2° bis 4° C. Für die Satelliten, die an die Kälte und Dunkelheit des Alls gewöhnt sind, mag sich das vielleicht ein bisschen wie zu Hause anfühlen.

 

Quelle/Bilder: NASA / ESA / Wikipedia / Gizmodo.com

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Ich hab morgen eine Besprechung mit den Remondis-Leuten. Vielleicht gründen wir dann Remondis-space.

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Faszinierend. Und so schließt sich der Kreis: Astronauten üben unter Wasser für die Schwerelosigkeit, und die einst schwerelosen Vehikel finden ein Grab in den Wellen. Sic transit gravitas orbi, möchte man fast sagen ...

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Mich würde mal eher interessieren, was die eigentlich in Sachen Entsorgung mit den ganzen "Killersatelliten" und solchen, die mit Kernenergie betrieben werden, vor haben. Bisher hatte ich noch keine Zeit zur Recherche, aber ich habe ohnehin die Befürchtung, dass sich zu diesem Thema nicht viel finden wird...

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.