18. Mai 2020

Mission Homeoffice

Was machen eigentlich die Astronauten, wenn sie im All krank werden?

Lesezeit: 4 min.

Ich sitze allein zu Hause. Sie sitzen allein zu Hause. Alle sitzen allein zu Hause. Das ist wie die schlimmste Folge von Oprah Winfrey aller Zeiten.

Es würde mich ja schon interessieren, was geschieht, wenn das Corona-Virus (oder sonst eine hochansteckende Krankheit) auf die Internationale Raumstation gelangt. Und überhaupt: Welche Notfallmaßnahmen treten in Kraft, wenn jemand einen schlimmen Schnupfen bekommt? Tatsache ist: Neben einem Feuer ist eine ansteckende Krankheit das mit Abstand Schlimmste, was auf der ISS passieren kann.

Viren im Weltraum sind aus zwei Gründen problematisch. Zum einen ist der Bereich, in dem sie sich ausbreiten können, per Definition eine abgeschlossene Umgebung mit der immer gleichen, recycelten Luft – ein Raumschiff bietet einem Virus damit beste Verbreitungsbedingungen. Zum anderen wissen wir, dass sich das Immunsystem sowie der Hormonhaushalt im Weltall verändern, was es einem Erreger ganz besonders leicht macht, sich im menschlichen Körper festzusetzen und zu verbreiten.

Interessanterweise gab es derartige Fälle bereits, wenn auch mit eher harmlosen Krankheiten. Am bekanntesten ist wohl die Erkältung, die Wally Schirra Ende der Sechzigerjahre auf Apollo 7 einschleppte und alle Besatzungsmitglieder ansteckte. Ein Schnupfen beim Landeanflug einer gewöhnlichen Passagiermaschine ist ja schon schlimm, aber stellen Sie sich mal vor, wie es bei der Rückkehr aus dem All sein muss. Jedenfalls weigerten sich die Besatzungsmitglieder geschlossen, ihre Helme aufzusetzen.

Sollte es ein weniger harmloser Erreger an Bord schaffen, können die gesunden Astronauten nur wenig dagegen tun. Die wichtigste Maßnahme besteht darin, die infizierte Person zu isolieren und sie eine Maske tragen zu lassen. Durch die Schwebstofffilter der ISS wird die Ansteckungsgefahr etwas abgemildert, und es befindet sich tatsächlich ein Vorrat von Wischtüchern zur Desinfektion von Oberflächen an Bord. Irgendwie hat die Gewissheit, dass sich die Astronauten im All auch nicht anders vor einer Ansteckung schützen als wir hier unten, etwas Tröstliches.

Glücklicherweise sind Krankheiten im Weltraum sehr selten – und das Corona-Virus schafft es ganz bestimmt nicht an Bord. Für Astronauten ist die Selbstisolation, die uns hier auf der Erde momentan so beschäftigt, ganz normaler Alltag. Doch dann stellte ich mir folgende Frage: Was, wenn das Corona-Virus das Bodenpersonal erwischt? Die Astronauten kommen zwar eine Weile lang sehr gut allein klar, sind aber von den Daten der Bodenkontrolle abhängig. Und wenn die für die Bodenkontrolle zuständigen Personen krank werden? Eine solche Arbeit kann man schlecht vom Homeoffice aus erledigen.

Oder jedenfalls nur begrenzt. Während ich diese Kolumne schreibe, sind nur wenige Informationen darüber verfügbar. Mir liegt lediglich eine wenig erhellende Pressemitteilung der NASA vor. Anscheinend schickt die NASA im Fall der Fälle jeden, der nicht absolut unentbehrlich ist, nach Hause, während sich eine Rumpfmannschaft um alle sogenannten „missionskritischen“ Aufgaben kümmert. „Das Wohlergehen unserer Angestellten hat absoluten Vorrang“, so NASA-Administrator Jim Bridenstine. „Wir verfügen über die nötigen technischen Voraussetzungen, um vieles aus der Entfernung zu erledigen, aber wo tatsächlich vor Ort Hand angelegt werden muss, können die Richtlinien des CDC (der US-Behörde für Krankheitskontrolle und -prävention) nur unter Schwierigkeiten oder überhaupt nicht befolgt werden. Falls die Sicherheit darunter leidet, stellen wir solche Arbeiten vorerst ein. Wir konzentrieren uns hauptsächlich auf absolut unerlässliche Tätigkeiten.“ Mehrere wichtige Projekte wie das James-Webb-Weltraumteleskop, der Perseverance-Rover und die Mars-Helikopterdrohne sind vorerst aufgeschoben. Was vermutlich die richtige Entscheidung ist.

Wie die Astronauten, die sich derzeit auf der ISS befinden, damit umgehen, wissen wir nicht – wahrscheinlich, weil sie noch niemand gefragt hat. Ende März waren drei Personen an Bord: Jessica Meir, Oleg Skripotschka und Andrew Morgan. Eine überraschend kleine Crew, die jedoch im April für einige Tage verdoppelt wurde, als Anatoli Iwanischin, Iwan Wagner und Chris Cassidy dazu gestoßen sind. Die gegenwärtige Besatzung hat noch nicht viel verlauten lassen, obwohl Cassidy laut Associated Press gesagt hat, „dass das, was Amerika und den Rest der Welt umtreibt, auch mir Sorgen macht. So etwas hat unsere Generation noch nicht erlebt, oder? Da werde ich später mal eine interessante Geschichte zu erzählen haben.“

Ganz bestimmt. Während Corona-Tests für die Bevölkerung in den Vereinigten Staaten alles andere als selbstverständlich sind, wurden Cassidy und seine zwei Kollegen vor dem Start mehrfach gründlich auf das Virus untersucht. Die ganze Besatzung musste in eine strenge Quarantäne, weswegen sie sich nicht persönlich von ihren Familien verabschieden konnten, ehe sie ins All flogen. Auch der traditionelle Besuch der Kremlmauer in Moskau musste deswegen unterbleiben. Das ist nur vernünftig – oder würden Sie etwa als der Trottel in die Geschichte eingehen wollen, der Covid-19 ins All gebracht hat?

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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