21. August 2015 2 Likes

Die Crux mit der Evolution

Ramez Naam’ „Crux“ – ein Techno-Thriller aus der posthumanen Zukunft

Lesezeit: 4 min.

Ramez Naam, viel gerühmter Computer-Experte und Futurologe mit viel Expertise, ist momentan ohne Zweifel einer der spannendsten Science-Fiction-Autoren. Durch seinen beruflichen Hintergrund, seine vielfältigen Fachkenntnisse und sein am Puls der Zeit festgemachtes Wissen um den technologischen und ökologischen Stand der Dinge sowie den Fortschritt in zahlreichen Bereichen, haben seine Sachbücher und Romane eine gewaltige Relevanz.

In seinem Roman-Debüt „Nexus“ (im Shop) stellte Naam eine nahe Zukunft vor, in der die posthumane Zeitrechnung der Menschheit bereits begonnen hat. Hier entwickelte und erweiterte der junge, idealistische Programmierer Kaden Lane die Nano-Droge Nexus. Mit deren Hilfe können sich menschliche Bewusstseine wie Computer in einem Netzwerk verbinden und neue gedankliche, emotionale und sogar körperliche Leistungsstufen erreichen. An Ende des Romans wurde Lane von der US-Regierung in die Ecke gedrängt, entließ Nexus in die ‚freie’ Wildbahn und konnte schwer verletzt flüchten.

Zu Beginn der drei Monate später einsetzenden Fortsetzung „Crux“ (im Shop), die gerade bei Heyne im Taschenbuch und im E-Book veröffentlicht worden ist, haben immer mehr User Nexus – in Kürze werden es weltweit eine Millionen Nutzer sein, die Nexus für Konzerte, Partys, in der Forschung oder die Kommunikation mit ihren autistischen Kindern nutzen. Außerdem werden seit dem ersten Aufkommen von Nexus mehr und mehr Kinder mit Nexus und dementsprechend unglaublichen Fähigkeiten der Vernetzung und des Lernens geboren. Das scheint wie der nächste logische Schritt der menschlichen Evolution, wo das gemeinsame Denken und Handeln schon früh einen wichtigen Platz eingenommen hat. Die amerikanische Regierung ist von all dem jedoch nach wie vor nicht begeistert, sperrt die Nexus-Kids ein und möchte die Nano-Droge wieder aus den Köpfen der Leute rausbringen – erst recht, da der in Vietnam von Kloster zu Kloster fliehende Kaden eine Hintertür eingebaut hat, durch die man jeden Nexus-User umprogrammieren und fremdsteuern kann. Als einziger Administrator versucht Kaden mit der Macht eines Gottes, den Missbrauch von Nexus zu verhindern, aber zwischen Gangstern, Regierungen und terroristischen Nexus-Freiheitskämpfern ist das sehr schwer, stressig und zermürbend. Zumal Kaden weiterhin von mehr als einer Partei gejagt wird. Schließlich will jetzt jeder die Codes für den Zugang zu den Nexus-Gehirnen. Und selbst jene, die mit Nexus eigentlich den Planeten retten wollen, setzen für das Erreichen ihrer Ziele und das Fangen von Kaden auf Gewalt…

Es ist nicht der absolut solide umgesetzte Thriller-Plot, der den zweiten Band von Ramez Naams Near-Future-Trilogie glänzen lässt. Viel mehr ist es die scheinbar mühelose Abbildung einer Zukunft, die an allen Ecken technischen und biologischen Fortschritt offeriert, den Naam ganz unaufgeregt in seine Story und ihre Szenen einbaut. Für die Figuren stellt diese Zukunft mit all ihren Gadgets – all den Drohnen, Chamäleon-Anzügen und körperlichen Modifikationen – den Ist-Zustand dar, und auch für den Leser werden diese Dinge während der Zeit der Lektüre zur Realität und der Gegenwart.

Dass Naam „Crux“ zwischen brutalen Hirn-Hacks, künstlicher Super-Intelligenz und ganze Städte lahmlegenden Geistern einen unerwarteten, ungewöhnlichen ‚Helden’ über seine Furcht und seine Zweifel hinauswachsen lässt, weiß indes ebenso zu gefallen wie der Umstand, dass Naam niemals tadelnd oder mahnend den Zeigefinger hebt (obwohl er es oft genug könnte). Beim Lesen kommt man schon selbst drauf, welche Denkfehler und welches Fehlverhalten unserer Zeit Naam gerade aufzeigt. Selbst wenn es um die Übersäuerung des Meeres oder die Erderwärmung geht, spart Naam sich direkte Kritik – er zeigt auf und vertraut ferner darauf, dass seine Leser es eigenmächtig schnallen. Reale Mega-Stürme oder das dieses Jahr besonders heftig ausfallende Wetterphänomen El Niño sind freilich drückende Argumente für das, was der in Ägypten geborene, seit frühester Kindheit in den USA lebende Mr. Naam in gefälliger Prosa verpackt.

Im Anhang seines Sequels plaudert Naam übrigens wieder über den derzeitigen Stand der Forschung – u. a. die Plausibilität einer künstlichen Gehirn-Reproduktion. Aber auch ohne diesen kleinen, gut verständlichen Exkurs wäre klar, dass „Crux“ – wie „Nexus“ – einer der wichtigsten Romane über die Perspektive der cyber-biologischen Evolution des Menschen ist und den Cyberpunk sehr elegant und massentauglich auf ein neues, noch realistischeres und akuteres Level bringt.

Jetzt kann man sich auf die Übersetzung des dritten Teils „Apex“ freuen, der im Mai diesen Jahres erst auf Englisch erschienen ist – und hoffen, dass irgendwann vielleicht noch Naams Sachbücher „More Than Human“ und „The Infinite Ressoure: The Power of Ideas on a Finite Planet“ ins Deutsche übertragen werden.

Ramez Naam und seine Gedanken über uns, unseren Planeten und unsere Zukunft lohnen sich, wie spätestens nach „Crux“ klar ist, schließlich immer.

Ramez Naam: Crux • Heyne, München 2015 • 750 Seiten • € 8,99

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