7. November 2015 1 Likes

Ein Universum erwacht

An Chris Taylors umfangreicher Star Wars-Entstehungsgeschichte kommt keiner vorbei

Lesezeit: 5 min.

In gut einem Monat kommt mit Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht ein Film in die Kinos, den die eine Hälfte von uns sehnlichst erwartet und die andere von Herzen fürchtet. Anschauen werden wir ihn uns alle trotzdem – aber warum sind Star Wars-Fans eigentlich so heikel? Chris Taylor zeichnet in „Wie Star Wars das Universum eroberte“ (im Shop) Star Warsnicht nur ein umfassendes Bild der Entstehungsgeschichte von Star Wars, sondern nimmt auch die Fankultur unter die Lupe, die ja schon ab dem Moment, als sich am ersten Kinotag die Warteschlange um die Häuserblocks zog, ihren Anfang nahm. 

Wer wissen will, aus welchen popkulturellen Einflüssen sich Star Wars speiste, wie George Lucas zu dem Regisseur wurde, der er war (und jetzt, zumindest in Star Wars-Hinsicht, nicht mehr ist) und was dieses fiktive Universum mit uns allen gemacht hat, der sollte Chris Taylors Buch lesen. Hier eine weitere Kostprobe:
 

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Keine Frage: Star Wars ist ein großartiges, Galaxien umfassendes Epos. Aber halt mal, eigentlich handelt es sich ja um ein Märchen für die ganze Familie über unbekannte Welten. Natürlich nur, solange man es nicht als Samurai-Geschichte betrachtet oder vielleicht als Action-Abenteuer im Stil des Zweiten Weltkriegs.

Seit dem ersten Film aus dem Jahr 1977 verrenken sich Fans und Kritiker in alle Richtungen, um den Reiz von Star Wars unter Bezugnahme auf ein Dutzend verschiedener Genres zu erklären. Und niemand ist in dieser Hinsicht aktiver als George Lucas selbst, der die Filme abwechselnd mit einem Italowestern, Low Fantasy, 2001: Odyssee im Weltraum, Lawrence von Arabien, Unter Piratenflagge und dem gesamten James-Bond-Franchise verglich – und das alles, ehe der Originalfilm überhaupt gedreht wurde. Lässt man dieses Asteroidenfeld der Einflüsse hinter sich, entdeckt man im Zentrum von Star Wars ein einfaches, schrulliges Subgenre: Space Fantasy.

Space Fantasy verhält sich zu ihrem Übergenre Science-Fiction wie Luke Skywalker zu Darth Vader. George Lucas näherte sich mit seinem ersten Film THX 1138 an die Science-Fiction an, gab sie aber wieder auf, weil es ihm zu nah an der Realität, zu trostlos, zu unbeliebt an der Kinokasse war. Science-Fiction projiziert ein Bild der Zukunft durch die Linse der Gegenwart. Der Fokus liegt auf Technologie und ihren Begleiterscheinungen. Man bemüht sich zumindest im Ansatz, die physikalischen Gesetze des Universums zu berücksichtigen. Science-Fiction ist Fiktion über Wissenschaft, wohingegen Space Fantasy … nun ja, Fantasy ist, die im Weltraum spielt.* Science-Fiction spiegelt unsere Welt wider, Space Fantasy transzendiert sie. Sie ist nostalgisch und romantisch, freier in ihrer Abenteuerlichkeit, und sie betrachtet Technologie als bloßen Ausgangspunkt. Die physikalischen Gesetze werden dem Spaß geopfert. »Ich hatte Angst, dass Science-Fiction-Fans Zeug sagen würden wie ›Du weißt schon, dass es im Weltall keinen Klang gibt‹«, meinte Lucas 1977. »Ich wollte die Wissenschaft einfach vergessen.« Im Weltall kann jeder das Pew-Pew deines Lasers hören.

Diese tiefe Kluft in der Fantastik – das Mögliche gegen das rein Unterhaltsame – geht zurück auf die Rivalität zur Zeit der Jahrhundertwende zwischen dem französischen Science-Fiction-Pionier Jules Verne und seinem aufstrebenden englischen Zeitgenossen H. G. Wells. Verne war erklärtermaßen kein Wissenschaftler, wollte aber wissenschaftlich plausibel sein. In Von der Erde zum Mond (1865) schickt Verne seine Mondforscher in einer Kapsel ins All, die von einer gigantischen Kanone abgeschossen wird. In dem mutigen Versuch, die Möglichkeit seiner Idee zu beweisen, fügt er seitenlange exakte Berechnungen ein.** Wells dagegen interessierte sich so wie Lucas stets mehr für die Funktionsweise von Gesellschaft und Individuum als für die Mechanik der Wissenschaften. Als Wells 1901 mit Die ersten Menschen auf dem Mond einen eigenen Mondroman veröffentlichte, ließ er seinen Wissenschaftler erklären, dass er noch nie von Vernes Buch gehört habe. Im weiteren Verlauf entdeckt er die Antischwerkraft-Substanz »Cavorit«, die ihn und einen Geschäftsmann, der gerade zu Besuch ist, in seiner Kapsel einfach zum Mond schweben lässt. Verne ackerte so hart an den Details, dass seine Abenteurer erst in einem Folgeroman den Mond erreichen; Wells wollte seine Helden so schnell wie möglich dorthin verfrachten, damit sie die fantastische Mondzivilisation erkunden konnten, die er erfunden hatte. (Was Verne dermaßen ärgerte, dass er eine spöttische und ziemlich am Thema vorbeischießende Forderung an Wells stellte: Ich kann dir Schießpulver zeigen, also zeig du mir Cavorit!) Als Lucas beschloss, seine Version des Weltalls mit dem Lärm von Laserfeuer und kreischenden Jets zu füllen, reihte er sich damit in die Wells’sche Tradition ein.***

Bezüglich der Mittel waren Verne und Wells zwar uneins, doch sie verband das starke Bedürfnis, die Landschaft der menschlichen Vorstellungskraft zu erweitern. Mythen, wie Lucas einmal anmerkte, spielen unausweichlich an »jenem Ort gleich hinter dem Hügel« – hinter der nächsten Grenze, real genug, um Interesse zu wecken, aber auch unbekannt genug, um geheimnisvoll zu wirken: entfernte griechische Inseln im Zeitalter der Klassik, der dunkle Wald im mittelalterlichen Märchen, das Amerika des Kolumbus. Im 20. Jahrhundert, als der Planet Erde größtenteils erforscht war, wurde das Weltall zum letzten verbleibenden Ort gleich hinter dem Hügel. Und eine Ecke des Weltalls faszinierte Autoren und Leser ganz besonders und wurde zur Abstammungslinie von Star Wars: der Mars.

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* Man könnte argumentieren, dass jeder Film, den Lucas jemals gedreht oder als Produzent stark beeinflusst hat, eine Form von Fantasy oder Phantastik war. American Graffiti zählt zu Letzterem; das Genre, in das er selbst einmal THX einordnete, bezeichnete er als »dokumentarische Fantasy«. >

** Mutig, aber trotzdem falsch. Es ist nicht möglich, sich via Kanone auf den Mond zu schießen. Versuchen Sie das nicht zu Hause. >

*** Die Verne-Wells-Spaltung kann auch in den frühsten Science-Fiction-Stummkurzfilmen beobachtet werden – hier ist sie allerdings eher so tief wie der Atlantik, nicht wie ein Kanal. Georges Méliès begab sich 1902 auf Die Reise zum Mond, für die er seine Forscher mit einer Kanone ins All schoss. Thomas Alva Edison wagte 1910 einen Trip to Mars, für den sich ein Wissenschaftler in Antigravitationspulver hüllt und zum Roten Planeten schwebt. >

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Chris Taylor: Wie Star Wars das Universum eroberte · Aus dem Amerikanischen von Michael Nagula · ca. 700 S. · 14,99 € · erscheint am 09.11.2015 

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