17. April 2016 2 Likes

Des Doktors Schöpfung

Nach „Meister und Margarita“ liegen auch Michail Bulgakows Romane „Das hündische Herz“ und „Die verfluchten Eier“ in einer meisterhaften Übersetzung vor

Lesezeit: 4 min.

Es ist schon ein paar Jahre her, da sorgte eine Neuübersetzung für Furore im Blätterwald des heimischen Feuilletons. Der gebürtige Moskauer Alexander Nitzberg, der in Düsseldorf Germanistik und Philosophie studierte und nun in Wien lebt, hatte sich an das Opus Mangum des 1940 verstorbenen Satirikers Michail Bulgakow gewagt.


Michail Bulgakow

Zwölf Jahre hatte dieser an „Meister und Margarita“ geschrieben, doch durfte es erst knapp zwei Jahrzehnte nach seinem Tod und nur stark gekürzt erscheinen. Nitzbergs Neuübersetzung wurde Ende 2012 bei Galiani Berlin als Hardcover in Halbleinen veröffentlicht und 2014 als Taschenbuch bei dtv. Für seine Arbeit an Bulgakows Meisterwerk wurde der Wahl-Wiener mit dem Jane-Scatcherd-Preis ausgezeichnet und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Seitdem sind zwei weitere Kurzromane aus Bulgakows spitzer Feder von Nitzberg ins Deutsche übertragen worden: „Das hündische Herz“, das auch in einer bibliophilen Ausgabe bei der Büchergilde Gutenberg erhältlich ist, und „Die verfluchten Eier“. Aufmerksame Leser und Kenner der russischen Literatur mögen nun ins Stutzen kommen. Bekannt sind beide Titel hierzulande als „Hundeherz“ und „Die verhängnisvollen Eier“, wohingegen die faustische Erzählung bis dato unter „Der Meister und Margarita“ firmierte – womit die Neuübersetzung schon bei der Namensgebung anfängt.

Sowohl „Das hündische Herz“ als auch die „Die verfluchten Eier“ handeln von Wissenschaftlern, die ihren Forscherdrang bis zum Äußersten treiben, ohne dabei auf moralische, religiöse oder politische Grenzen Rücksicht nehmen zu wollen. In „Das hündische Herz“ widmet sich der Chirurg und Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski der Verjüngerung des Menschen durch medizinische Eingriffe. Er transplantiert in seine Patienten tierische Organe, um den altersschwachen und wohlhabenden Menschen ein Stück ihrer Jugend zurück zu geben. Sein neuestes Forschungsobjekt ist jedoch ein Straßenköter, den er eines Abends mit einer Wurst ködert und in seine Praxis lockt. Lumpi, so der Name des Tiers, wird zunächst aufgepäppelt, bevor sich der Professor und sein Assistent daran machen, ihm die Hirnanhangdrüse und Hoden eines verblichenen Verbrechers einzupflanzen. Lumpi mutiert innerhalb kurzer Zeit zum Menschen, nennt sich Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow und macht das Leben des Professors zur Hölle auf Erden.

Nicht weniger fantastisch geht es in „Die verfluchten Eier“ zu. Hier forscht der Zoologe Professor Wladimir Ipatjewitsch Pfirsichow leidenschaftlich an diversen Amphibien. Durch Zufall entdeckt er eines Tages einen mysteriösen roten Strahl, der Amöben und Frösche zum Riesenwuchs animiert und deren Aggressivität ins Unermessliche steigert. Als eine Hühnerkrankheit das Federvieh in ganz Russland ausrottet, sieht Alexander Semjonowitsch Vluch in Pfirsichows Entdeckung die Chance, dem geliebten Vaterland das Frühstücksei zurück zu bringen. Doch die Behandlung der vermeintlichen Hühnereier hat ungeahnte Folge.

Beide Geschichten spielen vor dem Hintergrund der politischen Umbrüche der 1920er Jahre und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Deswegen wurden sie oft einseitig als anti-sowjetisch und kontra-revolutionär gedeutet – was sicherlich einer der Gründe für die Zensur gewesen sein dürfte, die Bulgakows Werk in seiner Heimat erfahren hat. Doch diese Interpretation ist laut Nitzberg alles andere als in sich stimmig. In seinen sehr lesenswerten Anmerkungen und Nachworten weiht er kundige wie unkundige Leser in die Geheimnisse der bulgakowschen Prosa ein und verweist auf die Seitenhiebe, Andeutungen und Persönlichkeiten, die für die jeweilige Erzählung Pate standen.


Die Edelausgabe der Büchergilde Gutenberg

Ohne Zweifel benutzen beide Texte SF-Elemente und Nitzberg betont, dass H. G. Wells Romane „Die Insel des Dr. Moreau“ und „Die Riesen kommen“ als Inspirationsquelle gedient haben. Als magischer Realist konfrontiert Bulgakow die Bewohner seiner fiktiven Welt mit dem scheinbar Unmöglichen. Damit steht er auch in einer literarischen Tradition, die mit den Möglichkeiten der Zeit und dem Unwissen, wenn nicht sogar den Ängsten der Leser spielt. Es entfalten sich „Was wäre wenn…?“-Szenarien, wie man sie z. B. auch aus der englischen Phantastik her kennt (siehe Mary Shelleys „Frankenstein“, R. L. Stevensons „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“). Wer konnte schon wissen, wo die Fiktion aufhört und die Realität anfängt? Die in „Das hündische Herz“ angesprochenen Xenotransplantationen sind keine Spinnereien, sondern ein u. a. von Serge Voronoff ausgeloteter Forschungszweig. Auch er ist eine der vielen Inspirationsquellen Bulgakows. Noch erfolgreicher waren hingegen „Die verfluchten Eier“, die manch einer im Westen für einen Tatsachenbericht gehalten hat.

Was wäre ein Bericht über Neuübersetzungen, ohne einen Blick auf die Sprache zu werfen? Ein lausiger! Wer eine alte Ausgabe von „Hundeherz“ sein Eigen nennt, kann den Vergleich selbst wagen: „Das hündische Herz“ ist nämlich die erste Veröffentlichung des Romans, die auf dem letzten von drei von Bulgakow angefertigten Typoskripten beruht und somit der letzten offiziellen Fassung des Autors zu Grunde liegt. Es wird also nicht nur ein Titel der russischen Vorlage angepasst und Bello zu Lumpi, sondern eine sprachlich feinere und inhaltlich überarbeitete Version erstmals zugänglich gemacht. Hier und da bietet der Übersetzer auch Einblicke in seine Arbeit und zeigt auf, welche Stilmittel Bulgakow verwendet hat. Er war ein Autor der Moderne, der mit Worten Zeit und Zeitgeist einfing: cineastische Erzählweise, Perspektivwechsel, expressionistische Bilder, groteske Figuren und Karikaturen werden zum Mittel, um Gesellschaft, Religion, Politik, Wissenschaft und Medien aufs Korn zu nehmen.

Michail Bulgakow: Das hündische Herz • Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg • dtv, München 2014 • 176 Seiten • € 9,90

Michail Bulgakow: Die verfluchten Eier • Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg • dtv, München 2016 • 144 Seiten • € 9,90

Michail Bulgakow bei Galiani Berlin, dtv und der Büchergilde Gutenberg.

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