Mörderische Teilchen
David Waltons Science-Thriller „Quantum“
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage. Als William Shakespeare diesen Satz in seinem Stück „Hamlet“ verewigte, sprach noch niemand von Quantenphysik. Über vierhundert Jahre nach dem englischen Versdrama um den dänischen Thronfolger, präsentiert der amerikanische Autor David Walton (im Shop) einen Roman in Prosaform, bei dem es praktisch am laufenden Band um Quanten und Teilchen und die entsprechende Physik geht – und weiterhin um die Frage nach Sein oder Nichtsein, die letztlich nie aus der Mode gekommen ist und sogar das Forschungsgebiet der Quantenphysik prägt.
David Walton arbeitet als Ingenieur für den Raumfahrtkonzern Lockheed Martin und wurde für seinen dystopischen Zukunftsroman „Terminal Mind“ – sein Romandebüt – 2008 mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichnet. In „Quantum“ entführt er in die Welt der Quantenphysik: der Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten und fragwürdigen Zustände, der Doppelgänger und der Spiegelbilder. Für den Laien ist es eine verwirrende, groteske Umgebung, doch dem 1975 geborenen Walton gelingt es, ihre vereinfachten Grundgesetze und primären Annahmen plausibel zu vermitteln. Die Schulnote, die man einst zur Zeit der Tamagotchis (oder der Brontosaurier – je nachdem) in Physik hatte, spielt für das Verständnis von „Quantum“ daher gar keine Rolle. Eine gewisse Aufnahmebereitschaft für die ‚Möglichkeiten’ theoretischer Physik sollte jedoch vorhanden sein, denn natürlich surft Walton, der übriges kein Quanten-Doppelgänger des gleichnamigen Schauspielers ist, von der ersten bis zur letzten Seite auf der Wahrscheinlichkeitswelle.
Dann hat man aber auch schon alles, was man braucht, um diesem SF-Krimi zu folgen, der sich um den ehemaligen Straßenboxer und Top-Physiker Jacob Kelly und dessen Familie dreht. Eines abends sucht ein früherer Kollege Jacob daheim auf, erzählt etwas von Quantenintelligenzen und Verfolgern – und schießt auf Jacobs Frau. Am nächsten Tag ist Jacobs Weggefährte aus seiner Zeit im Umfeld des fiktiven New Jersey Teilchenbeschleunigers tot, und Jacob wird wegen Mordes verhaftet. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, wie im Gerichtsprozess herauskommt. Die ganze Wahrheit wiederum ist eine unglaubliche Geschichte über die dehnbaren Zustände und Gesetze der Quantenphysik und der Realität, die dem Leser einen packenden Science-Krimi bescheren, der im Hintergrund geradezu nebensächlich passwortgeschützte Smart Paper, von Augenbewegungen gesteuerte Kontaktlinsen-Displays und die Live-Feeds fremder Leben zum Alltag erklärt. Dass der Roman gleichzeitig ein Einblick in die Weltsicht von heutigen Physikern und ein Crashkurs in Sachen Teilchenphysik ist, verwandelt den Begriff ‚Infotainment’ in etwas völlig Anderes. Angewandte Quantenphysik.
Die Jungs aus „The Big Bang Theory“ könnten mit Diskussionen über diesen Roman wochenlang ihre Tischgespräche in der Uni-Cafeteria bestreiten, und mein alter, teilchenvernarrter Physiklehrer Herr Zimmer wäre sicher ebenfalls ganz aus dem Häuschen. Da David Walton mit seinen Erklärungen und Beispielen für die zuweilen bizarre Metaphysik selbst unbescholtene Physik-Nullen niemals abhängt, bietet sich „Quantum“ jedoch einem wesentlich breiteren Publikum an, insofern es auf physikalisch gehaltvolle, wissenschaftlich fundierte Thriller steht. Dafür spricht alleine schon, wie flott und kurzweilig sich das Ganze liest. Mr. Waltons ordentlich geschriebener Science-Fiction-Roman (mit der Betonung auf ‚Science’) ist jederzeit für jedermann zugänglich. Das und die gefällige Vermischung der Welten von Physik, Hard Science-Fiction, Krimi und Mystery dürften dafür gesorgt haben, dass die TV-Rechte an „Quantum“ Ende 2015 verkauft wurden. Nach der Lektüre kann man sich die Serienadaption des Buches, die ihre Zuschauer in einem fort staunen lässt, ohne Schwierigkeiten vorstellen und hält sie für – genau – sehr wahrscheinlich.
David Walton: Quantum • Heyne, München 2016 • 384 Seiten • E-Book: € 8,99 (im Shop)
Kommentare