Kritik der privaten Vernunft
David Brin im Gespräch über westliche Gesellschaften und deren Zukunft
Der amerikanische Autor und Wissenschaftler David Brin genießt mit seinen Science Fiction Romanen Kultstatus innerhalb einschlägiger Genre-Zirkel und schafft es mühelos auf die Bestseller-Liste der New York Times und anderer relevanter Organe weltweit. Spätestens mit seinem bereits vor einigen Jahren erschienen Werk The Transparent Society konnte sich Brin als scharfsinniger Kritiker und Visionär kommender Gesellschaftsentwürfe positionieren, der einen Blick für technisch und gesellschaftlich virulent aufkommende und in die Gesellschaft einsickernde Entwicklungen mitbringt. Nach Brin pendeln beispielsweise speziell westliche Gesellschaften seit Jahren immer akuter zwischen ihrem Bedürfnis nach individueller Freiheit und Privatsphäre, doch besteht daneben ein erhöhtes Bedürfnis nach Transparenz und Offenheit, das sich nur schwer miteinander konsequent vereinen lässt.
Das in dieser Mischung liegende Spannungsverhältnis äußert sich vor allem dadurch, dass nahezu alle Menschen zwar mithilfe neuester Technologien immer mehr über andere (private wie öffentliche) Personen im Schutz der Anonymität erfahren möchten, jedoch selbst eine solche Durchleuchtung der eigenen Identität ablehnen, solange sie nicht von ihnen selbst aktiv (mit-)kontrolliert wird. Müssen Begriffe wie Privatsphäre und Öffentlichkeit in der heutigen Zeit daher anders gedacht und definiert werden als früher? Öffentliche Personen wie etwa Politiker werden in westlichen Gesellschaften zu gläsernen Menschen, die allerdings selbst im Spiegel ihrer Funktion als demokratisch gewählte Entscheidungsträger mit dem Vorwurf einer Aushöhlung des menschlichen Grundrechts nach Privatsphäre konfrontiert werden, wenn sie beispielsweise unter dem Diktat der Terrorabwehr das Grundrecht nach Privatsphäre einschränken. Die Angst vor einem Überwachungsstaat, wie ihn Orwell programmatisch mit 1984 skizzierte und wie sie in der „Figur“ eines Big Brothers längst zum Repertoire jeder Kulturkritik der letzten Jahrzehnte gehörte, hat sich zumindest tendenziell verändert und den Bürgern eine andere Rolle zugewiesen. Nicht nur der Staat beobachtet; auch die Bürger tun es längst, wenn auch unter anderen Vorzeichen und ohne ein legitimiertes Gewaltmonopol in der Hinterhand.
Brin sieht in Tendenzen wie dieser eine Unzufriedenheit westlicher Wohlstandsgesellschaften entstehen, die sich so an ihren hohen Lebensstandard gewöhnt haben, dass es ihnen häufig an dem mangelt, was Brin „Dankbarkeit“ im Angesicht eines Vergleiches mit weit weniger privilegierten Gesellschaften nennt. Dieser Gedanke mag zwar nicht neu und auch nicht unumstritten sein, doch Brin wäre nicht Brin, würde er seine Thesen nicht vor dem Hintergrund neuer Ein- und Ansichten hinterfragen.
Im ausführlichen Gespräch mit dem Wissenschaftsblog FutureThinkers stellt Brin diese Qualität erneut unter Beweis und gibt Auskunft über seine vor einigen Monaten erschienene Kurzgeschichtensammlung Insistence of Vision und stellt sich unter anderem hochpolitischen Fragen zur aktuellen wie zukünftigen Rolle staatlicher Autorität oder des Generationenpaktes innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Zum Gespräch mit David Brin geht es hier.
Abb. aus „1984“ © Twentieth Century Fox.
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