28. August 2019 2 Likes

Revolution auf Luna

„Roter Mond“ ist der nächste Schritt in der großen Zukunftsvision von Kim Stanley Robinson

Lesezeit: 3 min.

Würden Sie zum Mond fliegen, wenn die Reise einigermaßen erschwinglich wäre? Ich würde sofort Ja sagen. Einmal die niedrige Schwerkraft fühlen, einmal meinen Fußabdruck im Mondstaub hinterlassen, einmal diese unirdische und zugleich von so vielen Fotos so vertraute Landschaft blicken, die Apollo-11-Astronaut Buzz Aldrin als „magnificent desolation“ beschrieben hat – das wär’s! Für Fred Fredericks hingegen, den Protagonisten aus Kim Stanley Robinsons neuem Roman „Roter Mond“ (im Shop), ist der Ausflug zum Mond nicht nur rein geschäftlicher Natur, der eher schüchterne Amerikaner will eigentlich gar nicht hin. Sein Arbeitgeber, eine Schweizer Firma, schickt ihn zum lunaren Südpol, damit er für den ranghöchsten chinesische Verwaltungsbeamten Chang Yazu ein „Quantentelefon“ installiert; ein absolut abhörsicheres Gerät, das nur mit seinem Gegenstück auf der Erde kommunizieren kann. Doch bei dem ersten Treffen mit Chang Yazu wird dieser ermordet, und Fred selbst entkommt nur knapp dem Tod. Als er in der Krankenstation aufwacht, ist er der Hauptverdächtige, doch noch ehe die Ermittlungen so richtig in Gang kommen, arrangiert eine mysteriöse politische Fraktion Freds Rückflug nach China. Mit an Bord sind auch der Dichter und Feng-Shui-Experte Ta Shu und die junge Chan Qi, die Tochter des chinesischen Finanzministers. Sie ist das Gesicht einer revolutionären Bewegung in China, was sie wiederum zum Ziel für den Roten Speer macht, einer konservativen Gruppe innerhalb des chinesischen Militärs, die auch für den Mord an Chang Yazu verantwortlich sein könnte. Fred und Qi geraten in ein Katz- und Maus-Spiel, das sie schließlich wieder zurück auf den Mond führen wird …

„Das Entscheidende an ‚Roter Mond‘ ist, das China wirklich interessant und wichtig ist, aber niemand dieses Land wirklich versteht – und ich meine damit nicht nur die Amerikaner, sondern auch das chinesische Volk selbst“, so Kim Stanley Robinson in einem kurzen Interview mit space.com über seinen Roman. Dieses Nicht-Verstehen macht sich an den Gegensätzen in China fest, die nebeneinander existieren und die Robinson zu einem der zentralen Elemente seines Romans macht: Einerseits gelingt es China, dank hochentwickelter Technik den Mond zu besiedeln und dort eine Vormachtstellung aufzubauen – die USA werden von einer Bankenkrise ähnlich der von 2008 gebeutelt –, andererseits sorgt das Hukou-System der ständigen Wohnsitzkontrolle auch im Jahr 2047 dafür, dass die Gesellschaft in wohlhabende Stadt- und arme Landbevölkerung geteilt ist. Während Qi und ihre Freunde versuchen, das zu ändern, bringen sich die Mächtigen in Stellung, um ihren Kandidaten das Präsidentenamt zu sichern, was letztendlich dazu führt, dass sich die verschiedenen Autoritäten ständig gegenseitig in die Quere kommen. Der schüchterne Fred Fredericks, der sich plötzlich mitten in diesem Trubel wiederfindet und sich mit der lebhaften Chan Qi anfreundet, ist das perfekte Fenster in diese Welt.

Die zweite, uns mindestens ebenso fremde Welt ist der Mond. Die leblose Einöde in all ihrer Schönheit ist mehr als nur Hintergrund, sie wird zu einer weiteren Figur, die Einfluss auf das Geschehen nimmt. Robinson verbindet den chinesischen Mythos von Chang’e, die zu viel von einem Unsterblichkeitselixir trank, sodass sie zum Mond aufstieg, wo sie mit dem Jadehasen Yutu lebt, mit der Entstehungsgeschichte des Mondes, der wahrscheinlich bei einer gigantischen Kollision aus der Erde herausgerissen wurde. Auf dieselbe Weise verbindet Robinson Feng Shui und Quantenphysik, Dichtung, Sprache und Politik, chinesische Geschichte und die Dynamiken des Kapitalismus, sodass im Laufe des Romans ein gigantisches Geflecht entsteht; ein Wandteppich, der seine ganze Schönheit erst zeigt, wenn man statt der einzelnen Knoten das große Ganze sieht.

Kim Stanley Robinson: Roter Mond • Roman • Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt • Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 • 700 Seiten • als Paperback und E-Book lieferbar • Preis des E-Books: € 13,99 • im Shop

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