8. August 2016

Der Unsterblichkeits-Algorithmus

Was wäre, wenn die digitalen Hologramme von David Bowie, Michael Jackson und Steve Jobs auf ewig das Sagen hätten?

Lesezeit: 4 min.

Dieses Jahr war schwierig: Die ganzen Terroranschläge. Und dann sind auch noch viele große Persönlichkeiten von uns gegangen, unter ihnen David Bowie, Prince, Muhammad Ali, Götz George und Bud Spencer. Mittlerweile hat sich eine digitale Kondolenz-Kultur etabliert: Auf Twitter, Youtube, Instagram, Facebook gedenkt die Netzgemeinschaft der verstorbenen Stars. Videos, Artikel, Fotos, Zitate aus allen Lebensabschnitten überdauern im digitalen Archiv. Es heißt, das Netz vergisst nichts.

Könnte man all diese digitalen Erinnerungen nicht nutzen? Könnte man nicht aus all den Spuren, die ein Mensch hinterlassen hat, all den Clips, Fotos, Postings, Tweets, Selfies, Emails, Instagram-Fotos, Spotify-Streams, AirBnb-Buchungen und Runkeeper-Rekorden, diesen Menschen rekonstruieren und als digitales Wesen wiederauferstehen lassen?

Klingt wie herrliche Science-Fiction, oder? Dachte ich auch noch vor zwei Jahren, als ich begann, aus dieser Idee meinen Roman „Unsterblich“ zu schmieden. Nun ist er fertig und schon keine Science-Fiction mehr, denn die Realität hat ihn eingeholt. Es gibt bereits Firmen, die uns genau diese Art von Unsterblichkeit versprechen: Bei eterni.me, Forever Identity oder Project Elysium programmieren KI-Experten bereits die Algorithmen, die aus der Masse an persönlichen Daten-Hinterlassenschaften einen Code generieren, der den Toten so realistisch simulieren soll, dass man mit dieser virtuellen Kopie chatten, reden oder sogar als Hologramm interagieren kann. Normalsterbliche wie Stars könnten so auf ewig als virtuelle Klone existieren. David Bowie, Prince und Michael Jackson würden wieder singen. Marlene Dietrich und Robin Williams würden weiter Filme drehen. Und Steve Jobs würde uns auf seine unnachahmliche Weise das iCar präsentieren.

William Gibson lässt grüßen. In seinem Roman „Idoru“ hat der Großmeister des Cyberpunk bereits in den 90ern rein virtuelle Stars prophezeit. In gewisser Weise gibt es sie auch schon. In Japan füllt die rein virtuelle Sängerin Hatsune Miku bereits Hallen. Hologramme von Michael Jackson, Tupac Shakur und Elvis standen auch schon auf der Bühne. Doch sie alle sind noch ferngesteuert. Nun ist die Zeit gekommen, dass wir bald eigenständige virtuelle Personen erleben werden, sagt Hossein Rahnama, Experte für Künstliche Intelligenz und Firmengründe und einer der Wissenschaftler, der bereits an den Unsterblichkeits-Algorithmen arbeitet. Die virtuellen Abbilder werden so realistisch sprechen und sich verhalten wie ihr lebendes biologisches Vorbild.

Wie genau die digitalen Kopien der Toten erscheinen werden, ist noch offen. Es könnten Chatbots sein, mit denen man im Browser oder per App plaudern kann. Oder eine Siri, die klingt und spricht wie der Tote. Aber auch realistische Hologramme sind denkbar, die man mit VR-Brillen wie Oculus Rift oder künftigen Augmented-Reality-Brillen wie Microsofts HoloLens anschauen oder sogar in die Realität einblenden kann.

„Jeder möchte doch ein Vermächtnis hinterlassen“, sagt Rahnama, „egal ob er ein König ist oder ein normaler Bürger.“ Nicht nur die ohnehin schon durch ihre „Billy Jeans“, ihre „Club der toten Dichter“oder das iPhone unsterblich gewordenen Prominenten sollen in den Genuss des ewigen digitalen Lebens kommen – jeder kann als digitale Kopie wiederkommen: verstorbene Geliebte, Kinder, Urgroßeltern, Verwandte, Freunde, Kollegen. Der Tod als unausweichliches Ereignis wird zur Software-Lösung.

Der biologische Körper stirbt. Und mit ihm das Bewusstsein – weswegen diese Form der Unsterblichkeit nicht derjenigen entspricht, die Ray Kurzweil vorschwebt. Kurzweil will den gesamten menschlichen Geist klonen und in eine Cloud hochladen lassen, wo er dann frei von den biologischen Beschränkungen weiterlebt. Die Unsterblichkeit von Rahnama, eterni.me und Co. ist wie ein dreidimensionales, animiertes, sprechendes Selfie. Ein digitales Vermächtnis.

Aber was für eine Welt wird das sein, in der die Großen immer groß sein werden? Eine Welt, in der sich Newcomer-Bands stets mit Giganten wie Michael Jackson, den Beatles, Nirvana messen lassen müssen? In der ein Tim Cook für immer die Nummer zwei wäre. In der für immer wieder lebendige Legenden wie JFK und Helmut Schmidt regieren würden?

Eine ziemlich statische Welt wahrscheinlich. Statischer noch als die ohnehin schon wie in einer Dauerschlaufe agierenden Rolling Stones, AC-DC und Guns-N-Roses mitsamt ihren Fans. Denn so gut die Algorithmen die Toten auch simulieren mögen, so gut, dass sie sogar Neues dazulernen können werden, so Rahnama – eines werden sie nicht vermögen: kreativ sein. Neues schaffen. Sie sind digitale Mumien, ein Lebensdestillat. Folglich werden sie allenfalls Varianten des Denkens und Schaffens ihrer biologischen Vorbilder hervorbringen können. Jens Lubbadeh: UnsterblichDie Frage wird sein, wie wir damit umgehen werden; wir, die wir bekanntlich Gewohnheitstiere sind.

Wollen wir eine Welt haben, in der wir überall Echos hören werden von bereits Dagewesenem? „Smells like Teen Spirit“, „Billy Jean“, „Hey Jude“ – für immer?

 

Jens Lubbadeh ist ein preisgekrönter Wissenschaftsjournalist und Autor. Sein Debütroman „Unsterblich“ (im Shop) ist gerade im Heyne Verlag erschienen. In dem Science-Thriller geht Lubbadeh der Frage nach, wie eine Welt aussähe, in der digitale Unsterblichkeit bereits Realität geworden ist. Mehr über Jens Lubbadeh und sein Werk auf www.lubbadeh.de.

Jens Lubbadeh: Unsterblich ∙ Roman ∙ 448 Seiten ∙ Wilhelm Heyne Verlag ∙ E-Book: € 11,99 (im Shop) ∙ auch als Paperback und als Hörbuch erhältlich

Autorenfoto © Christina Körte

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