5. Oktober 2016

System Rift

Die erste DLC-Erweiterung für „Deus Ex: Mankind Divided“

Lesezeit: 7 min.

Eine Störung im System oder das erste Spielspaß-Backup für eines der besten RPG-Action-Adventures in diesem Jahr? Egal, wie man es dreht und wendet; auf den ersten Blick scheint der recht frühe Release der DLC-Erweiterung System Rift für das erst vor kurzem erschienene Deus Ex: Mankind Divided (hier im ausführlichen Test) eine zwiespältige Angelegenheit zu sein: Einerseits freuen sich viele Fans des trotz einiger (Story-)Schwächen grandiosen Hauptspiels sicher auf den schnellen Service, der den Fans bereits einige Wochen nach der Veröffentlichung von Mankind Divided eine rund zweistündige Bonusrunde beschert; andererseits könnten gerade aufgrund der kurzen Zeitspanne zwischen Hauptspiel und Zusatz einige Zweifel über die Qualität von System Rift aufkommen.

Skeptiker könnten etwa so ansetzen: Handelt es sich bei diesem ersten von zwei bisher geplanten Erweiterungen mehr um eine nachträglich aus der Hauptkampagne künstlich extrahierte Mission, die mit etwas mehr Content versehen den Spielern nun gegen Gebühr vorgaukeln soll, ein eigenständiges Kapitel und nicht nur ein funktionales Vehikel der Gesamtstory zu sein? Die Antwort pendelt sich bei System Rift (wie so oft im Fall eines DLCs dieser Blockbuster-Größenordnung) irgendwo zwischen solider Routine und kalkulierbarem Risiko ein. Kurz gesagt: Wer sich von einer episodischen Erweiterung wie dieser im Kontext eines narrativ konsistent fortgeführten und in ihren Gameplay-Mechaniken so gefestigten Universums wie der Deus Ex-Reihe mehr erwartet als eine fein kredenzte, aber eben nicht gänzlich neu zusammengerührte Portion „Nachschlag“, hat wahrscheinlich die letzten Jahrzehnte der DLC-Politik der meisten großen Publisher schlicht versäumt. Doch Eidos Montreal und Square Enix müssen sich nicht grämen, da sie mit System Rift eben genau das abliefern, was Kenner der Marke und besagter Politik erwarten konnten und durften. Und das ist beileibe kein schlechtes Ergebnis.

Die Fakten und Fronten zum Inhalt sind schnell geklärt: Wir übernehmen wie gewohnt die Rolle des mit Augmentierungen aufgemotzten Superagenten Adam Jensen, der von seinem alten Kollegen Frank Pritchard (bekannt aus Deus Ex: Human Revolution) unerwünschterweise in Prag kontaktiert wird, um ihm bei einer geheimen Mission zu unterstützen. Geködert mit der Aussicht auf mehr Informationen über die mysteriöse Gruppe der Illuminaten, denen Adam schon länger auf den Fersen ist, willigt er ein, sich an einem Einbruch in eine der wichtigsten Datenbanken der Welt zu beteiligen. Dabei muss sich Jensen zusätzlich auf die Unterstützung der mysteriösen Hackerin Shadowchild verlassen, die ihn parallel zu Frank Pritchard fast über die gesamte Spielzeit begleitet. Wie aus dem Hauptspiel gewohnt, verzichten die Entwickler weitgehend auf Cutscenes und belassen es bei den gut vertonten, aber grafisch weiterhin eher schmucklosen Ingame-Szenen, die leider technisch nach wie vor im Detail nicht für Begeisterung sorgen. Schon die steifen Figurenanimationen geben deutlich Zeugnis darüber ab, dass der DLC auf der gleichen Technik basiert wie das Hauptspiel und die Entwickler nicht nachgebessert haben. Dennoch ist das grandiose Setting der Gesamtreihe Deus Ex und insbesondere von Mankind Divided nach wie vor brillant in seiner Wirkung und kann mit seiner düsteren Noir-Stimmung technische Mängel geschickt kaschieren.

System Rift verbreitet von der ersten Sekunde mit kohärent präsentierten Figuren und herrlich doppelbödig geskripteten Dialogen ein dystopisches Cyberpunk-Flair, das bis zum Ende fesselt und vor allem die kritisch verhandelten Themen der Reihe um Biopolitik, Ausgrenzung oder Machtmissbrauch kongenial fortsetzt. Im Fall von System Rift verzeiht man auch leicht die Eingrenzung der Open World des Hauptspiels auf ein überschaubares Gesamtareal, da sich Adam innerhalb der Story am Ende sogar in einer VR-Welt wiederfindet, die sich (ähnlich wie der Breach-Modus des Hauptspiels) merklich vom bisherigen Geschehen abhebt und mit einigen kleineren Design-)Feinheiten für zumindest ansatzweise auch positive Überraschungen sorgt. Bosskämpfe gibt es leider nicht und man hätte sich speziell am Ende gewünscht, zumindest einen der im DLC an- und eingeführten Antagonisten näher kennenzulernen, um ein konkretes Feindbild aufbauen zu können.

Die Story des DLC ist in den Gesamtkontext von Mankind Divided stimmig eingebettet, ohne jedoch zu stark auf dessen konkrete Plot-Ereignisse Bezug zu nehmen. Das bedeutet, dass sich zwar die grundsätzliche Atmosphäre und der Schauplatz Prag mit seinen U-Bahn-Stationen, patrolierenden Militärs und missgelaunt schikanierten Passanten in System Rift erneut wiederfinden, es allerdings kaum Spoiler für all diejenigen Spieler zu befürchten gibt, die vielleicht sogar den DLC vor dem Hauptspiel angehen sollten. Die insgesamt in ihren wenigen Schauplatzwechseln kompakt inszenierte Kampagne führt uns in ein überschaubares Areal, das mit einem Hauptgebäude und einigen darum verteilten Gebieten nur wenig Freiraum für echte Erkundungen bietet. Zwar lassen sich rund um das opulente Gebäude der Datenbank Palisade Blade einige Straßenecken aufsuchen. Doch wirklich relevant für Story und Ausrüstung fallen die möglichen Stippvisiten kaum aus. Die meiste Zeit verbringen wir mit Adam innerhalb der Bank, die sich über mehrere Etagen erstreckt und als Hochsicherheitszone neben den bereits aus der Hauptkampagne bekannten Soldaten, Robotern und Schussanlagen bis auf das eher nervige Feature einer Wärmeerkennung wenig Neues zu bieten hat.

An der für das Rollenspielerlebnis der Reihe typischen Augmentierungsfront hat sich ebenfalls nichts verändert. Aus einem umfangreichen Katalog verschiedener Fähigkeiten können wir Jensen zwischen Stealth und Action weiterentwickeln. Nur die letztlich geringe Anzahl an anfangs vergebenen Skillpoints (den sogenannten Praxis Kits) kann manchen Spielern negativ aufstoßen. Denn selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad haben wir nicht einmal im Ansatz die realistische Chance, bis zum Abschluss auch nur die Hälfte von Adams möglichen Augmentierungen freizuschalten und damit auf ein gehobenes Niveau verschiedener Fähigkeiten zu gelangen. So geht viel Reiz der Augmentierungen auf Gameplay-Ebene verloren. Wer sich schon in Mankind Divided zum absoluten Supersoldaten und Stealth-Experten hochgearbeitet hat, wird es womöglich nicht sonderlich zu schätzen wissen, nun wieder oft ein viel zu leichtes Futter für die insgesamt fast etwas zu actionlastige DLC-Kampagne abzugeben. Gerade auf den höheren Etagen der Bank strapazieren einige unnötig Frust verbreitenden Situationen so manche Spielernerven, wenn man nicht genau die richtigen Augmentierungen gewählt hat, um der Situation Herr zu werden. Ein Schelm, wer hier eine zumindest latente Anpreisung der immer via Instant-Shop angebotenen Option eines Nachkaufs von Skillpoints vermutet, die es uns ermöglichen, die beschränkten Optimierungsmöglichkeiten zusätzlich aufzubessern.

Insgesamt haben es aber alle bekannten Gameplay-Elemente und speziell die spielerisch Variabilität an Entscheidungsoptionen innerhalb der  Missionen auch in den DLC geschafft. Wir fühlen uns sofort wieder heimisch, wenn einer der unzähligen Lüftungsschächte darauf wartet, von uns „durchkrochen“ zu werden oder wir die gigantische Riege an Büro-PCs hacken, um an Codes und weitere Informationen zu gelangen. Wer mit leisen Sohlen nichts anzufangen weiß und wenig gegen rabiate Methoden hat, wird sich mangels Munition situativ allerdings etwas schwerer tun, da es nun kaum noch Ruhephasen wie im Hauptspiel gibt. Dennoch bleibt sich Deus Ex weiterhin selbst treu und überlässt uns die Wahl der Vorgehensweise. Bis zum Finale von System Rift, das immerhin einige mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Episoden liefert, haben wir somit genug Möglichkeiten, alle beliebten wie unliebsamen Elemente des Hauptspiels exakt so noch einmal zu erleben. Wirklich neue Aufgaben oder Präsentationen sind nicht vorhanden und für Veteranen des Breach-Modus bietet selbst dieser hübsch designte VR-Abschnitt spielerisch kaum wirklich herausfordernd Neues. Schade, denn gerade in der virtuell simulierten Welt wäre dies glaubhaft umsetzbar gewesen, ohne Raubbau am Setting und Jensens Figurenprofil zu betreiben. Das gilt zumindest auch in Ansätzen für die mit einigen Nebenfiguren verknüpften Sidequests, die traditionell einen hohen Anteil an der tollen Atmosphäre und der in der Breite dichten Handlung eines jeden modernen Deus Ex einnehmen. Deutlich mehr optionale Missionsziele innerhalb der Story von System Rift wären daher sicher ebenfalls wünschenswert gewesen, um der Erweiterung noch mehr spielerische und storytechnische Tiefe zu spendieren, doch speziell im Verbund mit dem moderaten Preis für einen letztlich fair gesetzten Umfang ist das zu verschmerzen. Wir erinnern uns: Der Fehler mit übertriebenen Erwartungen und deren Enttäuschungen.

Fazit

Stellvertretend für die meisten Story-DLCs großer Titel belegt auch System Rift, warum man über DLCs trefflich diskutieren kann. Denn die Entwickler gehen mit dieser ersten Erweiterung null Risiken ein und bieten haargenau das, was man von einem weiteren Abenteuer von Adam Jensen im erzählerischen Kleinformat erwarten konnte. Nach ungefähr zwei bis maximal drei Stunden hat man alles gesehen und erlebt; großen Wiederspielwert bietet das Erlebte mangels Storyalternativen und weiterer Sidequests nicht. Doch genau das kann man auch positiv sehen und folglich anders argumentieren: Wer Mankind Divided genossen hat und ein wenig mehr davon erleben möchte, wird mit System Rift bestens bedient. Ob Grafik, Sound, Setting oder Dialoge – serviert wird eine nahtlose Fortsetzung.

Zusätzlich wird es sicher spannend sein zu verfolgen, ob die zweite angekündigte DLC-Erweiterung (die allerdings erst in ein paar Monaten veröffentlicht wird ) einen ähnlich berechnenden und damit vorhersehbaren Weg einschlägt. Aber das muss bei einer so famosen Basis wie Deus Ex nicht übertrieben beklagt werden, wenn das Niveau ähnlich gut konserviert wird wie im vorliegenden Fall. Denn insbesondere der atmosphärisch stringente und narrativ harte Umgang mit der Augmentierungsthematik und ihren Konsequenzen innerhalb der in Deus Ex gezeigten Gesellschaft verdient nach wie vor viel Lob und findet in System Rift eine würdige Fortführung. Die mit Mankind Divided entfachte Vorfreude auf den nächsten vollwertigen Ableger der Reihe, der hoffentlich nicht wieder mit mehreren Jahren ähnlich lange auf sich warten lässt, können DLCs ohnehin nur unterstützen oder vorübergehend abflauen lassen. Ein kleiner Happen kann schließlich nie das ganze Mahl ersetzen.

Deus Ex: Mankind Divided - System Rift ist via Download für PS4, Xbox One und PC erhältlich. Einen Launch-Trailer gibt es unter dem Beitrag.

Deus Ex: Mankind Divided - System Rift • Eidos Montreal/Square Enix • RPG-Action-Adventure

Abb. © Eidos Montreal/Square Enix

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