21. Dezember 2021 2 Likes

Alle Macht der „Algorytmica“?

Marion Herzogs Science-Fiction-Debüt ist erschienen

Lesezeit: 3 min.

Die Welt im 24. Jahrhundert? Kein angenehmer Ort. Rund zweihundert Jahre nach der Apokalypse leben die letzten verbliebenen Menschen in drei unterirdischen Archen. Dort verbringen die Bewohner ihr Leben eingepfercht in einer Kapsel und tauchen in virtuelle Welten ein. Als immer häufiger Stromausfälle das System erschüttern, ahnt eine kleine Gruppe der „Hope of Tomorrow“, dass mehr dahinter steckt.

Leser wissen recht schnell, dass in der Bunkeranlage nicht alles rund läuft. Gleich zu Beginn präsentiert uns Marion Herzog in „Algorytmica“ (im Shop) zwei Drohnenpiloten, die Aufnahmen von der angeblich so unwirtlichen Oberfläche verschwinden lassen – ohne dass ihre Vorgesetzten davon Wind bekommen. Doch erst mit dem Auftauchen von Studentin Kaja Andersson lässt uns die Autorin tiefer hinter Schein und Sein der schönen neuen Ersatzwelt blicken.

Kaja gehört eigentlich zur Elite der „Hope“. Ohne ihre Eltern wären die virtuellen Welten nur ein lausiger Abklatsch einer Realität, die alle unter Tage nur noch aus Geschichtsbüchern kennen. Ihre Schöpfungen machen das Holovit erträglich, lassen längst untergegangene Landschaften und schmackhaftes Obst echt erscheinen. Das Dasein im goldenen Holokäfig hat dennoch seine Schattenseiten. Kaja verstören die kurzen Phasen während der Stromausfälle, in denen sie in ihrer Kapsel einer Panikattacke nahe ist. Sie ist auch keine begnadete Programmiererin wie ihre Eltern. Die Rolle der besseren Ersatztochter hat daher längst Kajas beste Freundin Lora eingenommen.


Marion Herzog. Foto © Patrycia Lucas

Marion Herzogs Heldin wird unweigerlich zur Außenseiterin – in ihrer eigenen Familie und in der Gesellschaft. Denn wer glaubt schon der Tochter eines Ratsmitglieds, dass sie vorab nichts von der wichtigsten Entscheidung wusste, die das Sozialleben der „Hope“ auf den Kopf stellt? Statt guter Leistungen und guter Gene soll nun ein Algorithmus darüber entscheiden, wer ein Kind bekommen darf. Gleichzeitig schüren die Medien die Angst vor einer Terrorgruppe aus dem Darknet, die angeblich die Stromversorgung des Bunkers attackiert. Kaja stolpert durch Zufall über die sogenannten Darksurfer und kommt mit ihnen einer Verschwörung auf die Spur, die das Leben in den Archen radikal verändern könnte.

Marion Herzog erinnert mit ihrem Science-Fiction-Erstling ein bisschen an „Metro“, „Matrix“ und „Die Maschine steht still“. Kaja ist jedoch – trotz der kleinen Nachnamensähnlichkeit – weit davon entfernt, ein zweiter Neo zu sein. Diese Rolle würde ihr auch nicht liegen. Sie ist eine junge Frau voller Ängste, Sehnsüchte und Träume, mit der man sich als Leser gern identifiziert. In einer Welt, die hinter den Kulissen brutal gegen diejenigen vorgeht, die das System hinterfragen oder dagegen rebellieren, sucht sie ihr persönliches Glück – und muss dafür über sich hinauswachsen.

„Algorytmica“ befasst sich aber, wie es der Name erahnen lässt, auch mit der Frage, in wie weit ein mit allerlei Daten gefütterter Algorithmus über die Zukunft der Menschheit entscheiden darf. Wie möchten wir in einer von Technik durchdrungenen Welt leben? Kaja und die Darksurfer wählen einen Weg, der am Ende dieses kurzweiligen Romans Hoffnung auf einen zweiten Teil macht.

Marion Herzog: Algorytmica • Roman • Heyne, München, 2021 • 432 Seiten • 16,00 € (im Shop)

[bookpreview] 978-3-641-26367-6

 

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