24. November 2016 2 Likes

Anbetungswürdige Apparatur

E. M. Forsters „Die Maschine steht still“ ist wieder auf Deutsch erhältlich

Lesezeit: 3 min.

Es gibt sie noch, diese beeindruckenden Geschichten, die bei jeder Lektüre an Intensität gewinnen und stets im Gedächtnis bleiben. Natürlich trifft dies auf viele Klassiker des Genres zu, erst recht auf das dystopische Dreigestirn, das bis heute die Vorstellung von einem unfreien, repressiven Leben prägt: Wie viel wurde nicht schon über „1984“, „Schöne Neue Welt“ oder „Wir“ philosophiert, wie viele Parallelen zwischen den Visionen Orwells, Huxleys oder Samjatins und der Gegenwart gezogen? Trotz der allgegenwärtigen Überwachungskameras, den Möglichkeiten der Gentechnik und der Logik der Mathematik hält eine Kurzgeschichte aus dem Jahr 1909 der heutigen Menschheit den Spiegel vor. Die Rede ist von E. M. Forsters „Die Maschine steht still“.

In der Welt, die der Engländer Anfang des 20. Jahrhunderts entwarf, leben die Menschen aus nicht näher genannten Gründen unter der Erde. Allein und von der Außenwelt isoliert sitzen sie in ihren Kammern und vermissen dennoch nicht die Gemeinschaft. Zwar wird direkter zwischenmenschlicher Kontakt nur zum Erhalt der eigenen Spezies (und der damit zusammenhängenden Geburt) gesellschaftlich akzeptiert. Kommunikation und wissenschaftlicher Diskurs über „Ideen“ erfolgt jedoch über Videotelefonie. Niemand muss die eigenen vier Wände verlassen, um die Umwelt wahrzunehmen, denn die kommt bei Bedarf auf Knopfdruck zu einem. Für das permanente Wohlergehen der Bewohner sorgt die „Maschine“, die fast schon gottgleich alles regelt, überwacht und wartet.

Das Leben könnte seinen gewohnten Gang gehen, würde Vashti nicht von ihrem Sohn Kuno für ein seltenes persönliches Gespräch zu einer Reise um den halben Globus gezwungen. Kuno hat, von Neugier getrieben, den Weg an die Oberfläche gesucht, gefunden und festgestellt, dass die Umgebung alles andere als unwirtlich für menschliche Organismen ist. Ihm droht nun die „Heimatlosigkeit“, die Verbannung aus seiner sicheren Kammer in die Oberwelt. Auch wenn sich seine Mutter von ihm nahezu angeekelt abwendet ob der blasphemischen Tat, verunsichern sie seine späteren Worte doch sehr: „Nicht mehr lange, und die Maschine steht still!“.

Natürlich fallen beim Lesen die vielen Parallelen zu unserer Welt auf. Vashti und Kuno kommunizieren und diskutieren mit Freunden über ein Netzwerk, das unseren Sozialen Medien und dem Internet sehr ähnelt und manchmal sogar an den nächsten Schritt, an die verheißungsvollen Fähigkeiten der virtuellen Realität, erinnert. Selbst der Knopfdruck hat plötzlich etwas prophetisches an sich, seitdem ein weltweit agierender Onlinehändler genau diesen Service für diverse Artikel des täglichen Bedarfs anbietet. Die Abnahme von zwischenmenschlichen Kontakten kommt manch einem Angesichts der Anziehungskraft diverser Instant-Messaging-Dienste auf Smartphonebesitzer ebenfalls merkwürdig bekannt vor.

Dennoch ist und bleibt die Erzählung ein Spiegelbild ihrer Zeit, in dem diverse damalige Ängste sichtbar werden. Am deutlichsten wird dies bei einem Vergleich mit einer anderen, über zwanzig Jahre älteren Novelle: H. G. Wells „Die Zeitmaschine“. Beide Werke porträtieren eine postapokalyptische Welt, in der ein Teil der Menschheit unter Tage lebt. Während Wells Morlocks sich zu dämonisch kräftigen Kannibalen entwickeln, ähneln Forsters Protagonisten eher einer hässlichen aber genauso schwachen Version der Menschen aus „Wall-E“. In „Die Zeitmaschine“ versklavte die Technik die Morlocks. In „Die Maschine steht still“ wird sie zu einem Gott, von dem der Homo sapiens abhängig geworden ist. Evolution und Degeneration, unterirdische Systeme als Faszinosum, der technologische Fortschritt als Chance und Gefahr zugleich – dies alles waren Themen, die die Menschen am Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts interessierten, faszinierten, ja manchmal sogar ängstigten und Autoren zu phantastischen Romanen inspirierten. Dabei war Edward Morgan Forster nicht primär ein Phantast, sondern ein angesehener Schriftsteller und zeitweise Mitglied der legendären Bloomsbury Group, zu der auch das Ehepaar Virginia und Leonard Woolf gehörte.

Seit Oktober ist „Die Maschine steht still“ als kleines, feines Büchlein wieder in den Buchläden zu finden und sei jedem empfohlen, der den Klassiker noch nicht kennt. Für alle anderen lohnt sich die Lektüre dennoch – und vielleicht sehen wir in zehn Jahren ganz andere Parallelen zu unserer Welt als heute.

E. M. Forster: Die Maschine steht still • Aus dem Englischen von Gregor Runge • Hoffmann und Campe, Hamburg, 2016 •  80 Seiten • 15,00 €

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