„Blutige Nachrichten“ von Stephen King
Frisch erschienen: Vier Kurzromane des Meisters in einem Band
Was macht Stephen King eigentlich, wenn er gerade keinen neuen Romanwälzer schreibt oder nicht auf Twitter gegen Präsident Trump wettert? Dann verfasst der amerikanische Bestsellerlistenkönig, der in einem Monat seinen 73. Geburtstag feiert, Novellen und Kurzromane – vier neue sind nun im Band „Blutige Nachrichten“ (im Shop) bei Heyne auf Deutsch erschienen.
In der ersten Geschichte „Mr. Harrigans Telefon“ freunden sich ein greiser, altmodischer Firmenmogul und ein netter Junge aus einer Kleinstadt an – und erleben die Wunder und Möglichkeiten, die ihnen das iPhone der ersten Generation bietet, die allerdings auch ziemlich morbide sein können, wie sich im weiteren Verlauf dieser super-sympathischen, super-lebendigen Story zeigt, in der King den Smartphone-Quantensprung zum Thema macht, der unsere Welt so veränderte. Eine typische King-Geschichte und möglicherweise die beste im Band, da der Amerikaner natürlich alles kann, jugendliche Perspektiven und Coming-of-Age in der US-Kleinstadt bekanntermaßen aber besonders gut.
In „Chucks Leben“ verbindet der berühmteste Einwohner Maines dann drei grundverschiedene Kurzgeschichten, die ursprünglich einmal für sich standen, auf stilistisch und strukturell hohem Niveau zu einer überraschenden Erzähleinheit – ohne zu viel zu erklären, ohne die Wirkung zu gefährden. Das erscheint einem beinahe ungebührlich experimentell für King-Verhältnisse. Los geht es dabei sogar mit einer lupenreinen Endzeit-Episode, die vieles von dem schlägt, was jenes Genre in den letzten Jahren in anderer Form oder größeren Umfang hervorgebracht hat.
„Blutige Nachrichten“, mit fast 250 Seiten die längste Geschichte im Band, ist eine direkte Fortsetzung von „Der Outsider“ (im Shop) und der „Mr. Mercedes“-Trilogie (im Shop). Sie widmet sich einmal mehr Holly Gibney, die einen langen Weg von der Nebenfigur zu Kings aktueller Lieblingsprotagonistin hinter sich hat, in den bisherigen Romanen ebenfalls eine beachtliche Verwandlung durchlief und die sich schon mehr als einmal dem menschlichen und nichtmenschlichen Bösen stellte. In „Blutige Nachrichten“ nimmt sie es weitgehend alleine mit einem neuen, aber doch auch vertrauten übernatürlichen Schrecken auf, der sich durch die Berichterstattung – die titelgebenden blutigen Nachrichten – zu einem Bombenanschlag an einer Schule in Hollys ebenso neurotisches wie detektivisches Blickfeld schiebt. Ein bisschen lang und langsam, jedoch solider King-Standard, und hoffentlich bzw. sicherlich nicht die letzte Geschichte aus dem Umfeld von Finders Keepers.
Um „Ratte“ so richtig würdigen zu können, muss man womöglich selbst Autor sein – wie Hauptfigur Drew, ein Kurzgeschichtenautor, Uniprofessor und Familienvater, der sich in eine einsame Waldhütte zurückzieht, um endlich seinen ersten Roman zu schreiben. King beschreibt indes die liebe Not, die man als Autor mit einem Romanbaby trotz der besten Ideen und Vorsätze haben kann, und packt dann das klassische übernatürliche Element dazu, das seine Anhänger so sehr lieben – obwohl die Länge selbst auf der kürzeren Strecke der alte, bekannte Feind des Königs ist. Man fragt sich außerdem, ob ein Meister wie King, seit rund einem halben Jahrhundert das personifizierte Autorenselbstbewusstsein und -Können, noch mit Zweifeln und Schreibblockaden zu kämpfen hat. Und wieso man seinen autobiografischen Schreibratgeber „Das Leben und das Schreiben“ (im Shop) schon so lange nicht mehr zur Hand genommen hat.
Richtig schön wird „Blutige Nachrichten“ im mikroskopischen Detail und zwischen den Zeilen und Geschichten: Einzelne Begriffe, Elemente oder Stimmungen verknüpfen die vier so unterschiedlichen Erzählungen ganz unauffällig, fast schon auf unterbewusster Ebene. Zumal King quasi nebenbei unsere aktuelle zynische, technisierte Lebenswirklichkeit abbildet, wie man so schön sagt, wofür er in diesem Band nicht mal den schweren Vorschlaghammer schwingt, Trump hin oder her. Altersmilde? Vielleicht, aber sicher nicht altersmüde. Dennoch, das Alter spielt immer wieder eine auffällige Rolle in diesen Geschichten – das Altwerden, Krankheit und Tod, diese wirklichsten aller Schrecken, die wir immer auszublenden zu versuchen, weil sie der wahre Horror sind.
„Blutige Nachrichten“ („If It Bleeds“ im Original) stürmt nicht auf die Liste der zehn persönlichen King-Lieblingsbücher, doch das muss dieser Band auch gar nicht: Er bietet trotzdem eine allemal gefällige Sammlung längerer Nichtromane des späten King, und in der Summe sind die schon genau das Richtige für die heißen Tage, den sommerlichen Urlaub oder ein Wochenende im Zeichen des Social Distancing.
Stephen King: Blutige Nachrichten • Heyne, München 2020 • 559 Seiten • E-Book: 18,99 Euro (im Shop)
Kommentare