10. April 2018 1 Likes

Der Duft der Anderen

„Pheromon. Sie riechen dich“ dreht sich nicht nur um die Macht der Sexuallockstoffe

Lesezeit: 4 min.

Manchmal ist es die Aufmachung, die einem zuerst auffällt. Schon das Buchcover ziert eine bunt schillernde Honigbiene auf schwarzen Grund, die einem Pop Art-Gemälde  entsprungen zu sein scheint. Vielleicht wird hier auch mit dem Betrachter gespielt, vielleicht sieht er die Biene durch Bienenaugen, die für das ultraviolette Farbspektrum empfänglich sind. Doch beim Cover hört der Aha-Effekt noch nicht auf: da gibt es noch den grün eingefärbten Buchschnitt, der den Titel hervor hebt. Zu guter Letzt ist da der Untertitel – „Sie riechen dich“ – und die bange Frage, wer da wen riecht und wer „sie“ eigentlich sind.  Killerbienen? Menschen? Zombies? Oder gar Außerirdische?

Der erste Schnüffler des Romans begegnet dem interessierten Leser gleich zu Anfang: Jake Merdon, 17 Jahre alt, vom Heuschnupfen geplagter Brillenträger, Footballspieler und eine Niete in Mathe. Gleich im ersten Kapitel werden ihm seine Kontaktlinsen zum Verhängnis, wodurch er den entscheidenden Spielzug und den Einzug seiner Mannschaft ins Statefinal verbockt. Doch Spott und Häme durch Mitspieler und -schüler halten ihn nur kurzzeitig auf Trab. Vom einen auf den anderen Moment verändert sich Jakes gesamte Wahrnehmung. Zunächst schiebt er die Verbesserung seines Geruchssinns noch auf das Weglassen des Antiallergikums. Gleichzeitig verändert sich jedoch auch sein Sehsinn und nicht nur komplizierte Mathegleichungen fallen ihm plötzlich spielend leicht. Er ist sogar in der Lage, Brände zu riechen, die am anderen Ende der Kleinstadt Vernon wüten. Als jedoch mit Serena ein neues Mädchen an seiner Schule auftaucht, verändern sich einige seiner Mitmenschen massiv. Sie scheinen sich um nichts mehr zu sorgen oder zu kümmern und suchen die Nähe ihresgleichen, vor allem die von Serena. Gemeinsam mit Amy, William und Robertson macht sich Jake daran, das Geheimnis um Serenas Macht und der scheinbar harmlosen Hilfsorganisation HFP – Human Future Project zu lüften.

Hundert Jahre später, im New York des Jahres 2118, wird der 68-jährige Arzt Dr. Travis Jelen von einer jugendlichen Gang vor seinem Appartement überfallen. Mit dabei ist auch ein schwangeres Mädchen, das noch versucht, schlichtend einzugreifen. Travis lässt die Begegnung mit der Jugendlichen nicht mehr los und versucht sie zu finden. Durch Zufall findet jene Lee Hastings den Weg in das Hilfscenter, für das Travis arbeitet. Er untersucht die werdende Mutter, bekommt von seinen Instrumenten aber eine seltsame Fehlermeldung angezeigt, laut der der Embryo nicht menschlich sei. Der engagierte Mediziner mit Informatikstudium macht sich wieder auf die Suche nach dem verstörten Teenager und trifft dabei immer wieder auf die HFP, die inzwischen weltweit vernetzt ist und überall Unterstützer hat, auch bei der Polizei und in der Politik. Travis lässt sich in eines der medizinischen Beratungscenter der HFP einstellen und beginnt zu ermitteln. Schon bald stößt er bei seiner Recherche jedoch an seine Grenzen. Kann es wirklich sein, dass das Human Future Project die DNA der Menschen schleichend verändert? Doch zu welchem Zweck? Ihm gelingt es eine Biologin und einen Physiker zu finden, die nicht zur HFP gehören. Zusammen stoßen sie auf das schreckliche Geheimnis der Hilfsorganisation und beschließen, ihrem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu setzen.

Viel Inhalt für 416 Seiten? Wie so oft im Jugendbuchbereich handelt es sich auch bei „Pheromon. Sie riechen dich“ um den Auftaktband zu einer Trilogie. Zugleich ist es die erste Zusammenarbeit von Rainer Wekwerth („Blink of Time“) und Thariot („EchtzeiT“). Während Wekwerth Jakes Geschichte im Hier und Jetzt erzählt, widmet sich Thariot Travis‘ Kampf gegen die HFP im Jahr 2118. Und sie nutzen jede der 416 Seiten bis zum letzten Buchstaben aus, um das Geheimnis um die vermeintliche Hilfsorganisation zu lüften. Die beiden Autoren wechseln sich hierbei kapitelweise ab, was auch stilistisch sofort auffällt: Wekwerth beschreibt eingehend und detailliert Jakes beunruhigende Metamorphose in der Gegenwart. Die Ereignisse in der Zukunft schildert Thariot hingegen in kurzen, prägnanten Sätzen. Erst gegen Ende des Romans, wenn sie das Erzähltempo in beiden Zeitlinien erhöhen, gleichen sie sich stilistisch etwas an.

Wer auf einen atemberaubenden Weltenbau hofft, wird etwas enttäuscht sein. Vernon, Jakes Heimatstädtchen, ist die typische amerikanische Kleinstadt im sprichwörtlichen Irgendwo im Nirgendwo. So oder so ähnlich könnte sich die Geschichte tatsächlich überall abspielen, hätte die HFP ihren Hauptsitz nicht in Amerika. Doch auch das New York der Zukunft ist eher Staffage, als Protagonist. Natürlich gibt es auch hier technische Errungenschaften wie „Glider“, die in den Straßen fliegen, oder medizinische Geräte, die binnen Sekunden oder Minuten klinisch relevante Daten auswerten können. Alles in allem ist Travis‘ New York durch seine Überbevölkerung jedoch ein eher unsympathischer Ort, der mit Obdachlosigkeit und Armut zu kämpfen hat.

Die Stärken von „Pheromon. Sie riechen dich“ liegen eindeutig bei den Figuren und dem Plot. Egal ob Jake, Travis oder Lee, das Autorenduo schafft es, ein glaubwürdiges Porträt seiner Protagonisten zu zeichnen und sie zu Sympathieträger zu machen. Auch die Story weiß zu überzeugen, da Wekwerth und Thariot kein paranoides Verschwörungsszenario entworfen haben, sondern eine Bedrohungslage skizzieren, die die gesamte Menschheit betrifft. „Pheromon. Sie riechen dich“ ist ein spannungsgeladener Pageturner, der mit gleich zwei Explosionen endet. Das Abenteuer für Jake und Lee endet jedoch nicht hier, sondern geht im Juli weiter.

Rainer Wekwerth, Thariot: Pheromon. Sie riechen dich • Planet!, Stuttgart 2018 •  416 Seiten • 17,00 € • Empfohlen ab 14 Jahren

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