4. April 2022 2 Likes

„Die Entdeckung der Unendlichkeit“ von Aeneas Rooch

Eine fesselnde Entdeckungsreise in die Tiefen exakter Wissenschaft

Lesezeit: 4 min.

Jeder von uns kennt das sicher. Es gibt bestimmte Grundfragen mit fast schon moralischem Unterton, die sich jeder irgendwann stellt oder die man, gerne auch verbunden mit einer kleinen Prise Peinlichkeit, ungewollt gestellt bekommt. Zu diesen zählt ohne Zweifel, welches Fach man in der Schule denn am meisten gehasst hat und nicht wenige werden (wie der Autor dieser Zeilen) mit voller Überzeugung bekennen, dass sie Mathe gehasst haben (was natürlich hauptsächlich am mangelnden Talent lag) – gerne auch mit dem letztlich unsinnigen Zusatz, wonach man das in diesem Fach gelernte ohnehin nie gebraucht hat (was aber für viele Fächer gilt und nicht berücksichtigt, was ein Fach wie die Mathematik beispielsweise allein schon für die Entwicklung eines Kindes leistet).

Doch hat man diesen Punkt überschritten und anerkannt, wie elementar mathematisches Denken die Geschicke der Menschheit seit der Antike mitdefiniert, ist es selbst für einen Mathehasser nicht zu bezweifeln, wie spannend und gleichzeitig lehrreich jede Beschäftigung mit ihr auch über das Fachliche hinaus sein kann. Genau dazu leistet Aeneas Rooch mit seinem jüngsten Sachbuch einen herausragenden Beitrag. Rooch, seines Zeichens selbst promovierter Naturwissenschaftler, Podcaster und dank mehrerer Bestseller einem breiteren Publikum bekannt, nimmt sich in „Die Entdeckung der Unendlichkeit – Das Jahrhundert, in dem die Mathematik sich neu erfand 1870-1970“ (im Shop) ein fundamentales wie faszinierendes Stück Wissenschaftsgeschichte vor.

Dabei geht es um nichts weniger als die im Titel angesprochene Unendlichkeit, die uns zwar metaphorisch oder in unserer Alltagssprache wie ein guter Bekannter vorkommt, jedoch bei genauerer Betrachtung selbst nach Jahrtausenden des Nachdenkens über sie so rätselhaft bleibt wie eh und je. Rooch zeichnet nach, wie sich die Mathematik als Herrin der Zahlen und formalen Logiken lange Zeit überraschenderweise tatsächlich nicht der Unendlichkeit bzw. ihrer Beweis- oder Unbeweisbarkeit widmete, ehe sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein gewisser Georg Cantor aufmachte, das Konzept Unendlichkeit revolutionär neu zu denken.

Was nun letztlich nach einem normalen Vorgang innerhalb einer Disziplin aussieht, entpuppt sich als sowohl intellektuelle wie gesellschaftliche Herausforderung, da Cantors Thesen weder mit offenen Armen empfangen noch widerspruchsfrei hingenommen werden. So geht es auch David Hilbert und Kurt Gödel, die in der Nachfolge Cantors ebenfalls mit ihren Thesen einer Neuaufstellung der Mathematik als logisch-präziser Denkart für Aufsehen sorgten und auf Widerstand stießen.

Was Rooch nun in bestechender Weise gelingt, ist das Abholen seiner Leser auf zwei Ebenen. Zum einen zeichnet er das teilweise schillernde bis tragische Leben von Cantor, Hilbert und Gödel nach und bezieht dabei bekannte Größen wie Einstein sowie Zeitgeschichtliches wie den Ersten Weltkrieg oder den Faschismus in seine Ausführungen ein. Zum anderen traut sich Rooch allerdings, die Erkenntnisse der Mathematiker ausführlich darzustellen und sie in ihrer Entwicklung zu erklären.


Aeneas Rooch. Foto © andreas ren photography

So ist „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ ein Werk geworden, das zwar bei den tiefergehenden Erläuterungen mathematischer Berechnungsprämissen nicht für jeden Leser zwingend verständlich ist, der nicht bereit ist, sich darauf wirklich einzulassen. Andererseits ist das aber auch nicht unbedingt nötig, um die Lektüre genießen und als anregend lehrreich empfinden zu können. Passenderweise „warnt“ das Buch stets mit einem Hinweis vor der sogenannten „Nerd-Zone“, in der intensiv mathematisch durchdacht wird.

Man merkt in jedem der sehr kurzweiligen und angenehm knapp editierten Kapitel die Erfahrung des Autors im Umgang mit Wissenschaft und was es heißt, diese im besten Sinne griffig zu präsentieren. Ebenso beweist Rooch, dass nicht nur die Biografien etwa von Künstlern, Politikern oder Physikern interessante Schlaglichter auf Kultur und Gesellschaft werfen können, sondern eben auch bizarre Lebenswege wie etwa der des Logikers Gödel, der paradoxerweise dem Wahnsinn verfiel und in Wien nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland lange Zeit nicht anerkennen wollte (oder konnte), in welcher Gefahr die Welt schwebt.

Am Ende hat man somit vielleicht nicht jedes Problem rund um den mathematischen Umgang mit Unendlichkeit verstanden, doch was in jedem Fall bleibt ist die Erkenntnis, besser zu begreifen, wie diese Disziplin funktioniert, was sie antreibt und warum sie eben – Achtung, es spricht nach wie vor ein Mathehasser – niemals aus den Lehrplänen von Schulen gestrichen werden sollte. Allein dafür und für so viele kuriose, wie unterhaltsam aufbereitete Einblicke in die Welt der Mathematik(er) darf man Aeneas Rooch nach der Lektüre der 400 Seiten durchaus dankbar sein.

Aeneas Rooch: Die Entdeckung der Unendlichkeit • Sachbuch • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 416 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: € 22,00 • im Shop

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