Ein Winter, der Jahrzehnte dauert
Michael Coneys großartige Romane „Der Sommer geht“ und „Erinnerungen an Pallahaxi“
Der Planet der Stilk umkreist die Sonne Phu, wird aber in regelmäßigen Abständen von einem Riesenplanten aus seiner Umlaufbahn gerissen und auf eine kalte Reise in den Außenbezirk des Sonnensystems mitgenommen. Ein vierzig Jahre andauernder Winter ist die Folge. Der britisch-kanadische Autor Michael Coney hat diese Konstellation zur Grundlage seines Klassikers „Hello Summer Goodbye“ gemacht – und dem Roman Jahrzehnte später mit „I Remember Pallahaxi“ eine Fortsetzung folgen lassen. Beide Bücher sind nun auf Deutsch als E-Book neuaufgelegt worden.
Die Science-Fiction ist nicht arm an außergewöhnlichen Welten. Ob Frank Herberts legendärer und soeben neu übersetzter „Wüstenplanet“ (1965), Larry Nivens künstliche „Ringwelt“ (1970) oder der mit extrem hoher Gravitation versehene Planet Mesklin in Hal Clements „Unternehmen Schwerkraft“ (1953), sie alle haben sich für ihre Leser als unvergesslich erwiesen. Das gilt auch für den Planeten der Stilk, der nicht nur über eine ungewöhnlich stark gekippte Rotationsachse verfügt, sondern bisweilen vom Eisriesen Rax als Mond eingefangen wird. Die dann einsetzende Reise führt zu Temperaturen nur knapp über dem absoluten Nullpunkt – und doch gelingt es den Bewohnern stets aufs Neue, sich mit der Katastrophe zu arrangieren und zu überleben.
„Der Sommer geht“ (im Shop), ursprünglich 1975 erschienen, wird aus der Perspektive von Druv erzählt, dem Sohn eines hochrangigen Beamten des Landes Erto. Die übliche Urlaubsfahrt in die Hafenstadt Pallahaxi gewinnt schnell abenteuerliche Züge, als der Junge mit der Gastwirtstochter Braunauge ein aufregendes Mädchen kennenlernt, das schnell zu seiner ersten Liebe wird. Doch Druv muss sich nicht nur mit unliebsamen Altersgenossen und den Forderungen der Erwachsenen arrangieren; im Hintergrund dräut ein Krieg, den das Nachbarland gegen Erto führt und der ganz allmählich in den Alltag der Einwohner von Pallahaxi einsickert. Und es kommt zum Phänomen der „Grume“, wenn der Ozean im endlosen Sommer ausdörrt und sich in eine zähflüssige Masse verwandelt, die sogar begangen werden kann.
Im erst posthum veröffentlichten Nachfolger „Erinnerungen an Pallahaxi“ (2007, im Shop) ist die Geschichte von Druv und Braunauge eine jahrhundertealte Legende. Diesmal steht der siebzehnjährige Hardy im Mittelpunkt. Er ist der Neffe des Hauptmanns Borst, der mit beunruhigenden Ernteausfällen konfrontiert wird. Als es bei der Nahrungsbeschaffung in der Stadt Noss zur Ermordung von Borsts Bruder kommt, wird Hardy in die Sache verwickelt und muss fliehen, obwohl er sich gerade in die schöne Talis verliebt hat. Unterwegs meistert er nicht nur zahlreiche Gefahren, sondern kommt auch manchem alten Rätsel auf die Spur – gerade rechtzeitig, bevor ein weiterer vierzigjähriger Winter beginnt.
Die beiden Pallahaxi-Romane von Michael Coney (1932–2005) sind außerordentlich spannend erzählte Abenteuergeschichten. Es geht um das Erwachsenwerden unter schwierigen äußeren Umständen, die in „Der Sommer geht“ den globalen Machtverhältnissen der 1970er Jahren nachempfunden sind – der Bezug auf die Konfliktsituation der damaligen beiden Großmächte ist unübersehbar. Dieser Roman kann seinen Platz als wichtigstes Buch des Autors mit Leichtigkeit behaupten. Der Nachfolger erscheint weniger zwingend, empfiehlt sich aber dennoch für alle, die mehr über den Planeten der Stilk erfahren möchten. Denn auch, wenn Coney bei „Der Sommer geht“ nicht zuletzt eine politische Parabel im Sinn gehabt haben mag, bleibt in erster Linie sein Sinn für ungewöhnliche Lebensformen in Erinnerung: die gefährlichen Anemonenbäume, die in kleinen Tümpeln lauernden Eisteufel, die Wasser kristallisieren lassen können, oder die wilden Grume-Reiter, die sogar Zumen angreifen, die zwanzigmal größer als sie selbst sind. Mit den Lorin hingegen, einem Volk, dessen Mitglieder emphatisch zu kommunizieren vermögen, ist Coney überdies eine außerirdische Spezies gelungen, deren liebevolle Zeichnung ihresgleichen sucht. Alles in allem viele gute Gründe, um diesen faszinierenden Autor neu zu entdecken.
Michael Coney: Der Sommer geht (Hello Summer Goodbye) • Aus dem Englischen von Bernhard Kempen • Heyne E-Book: € 3,99 (im Shop)
Michael Coney: Erinnerungen an Pallahaxi (I Remember Pallahaxi) • Aus dem Englischen von Bernhard Kempen • Heyne E-Book: € 3,99 (im Shop)
Kommentare
Schön wäre es, wenn beide Romane in einem Band GEDRUCKT erscheinen würden :-)
Dies ist bereits 2009 geschehen! Unter dem Titel: "Träume von Pallahaxi" sind beide Romane als Sammelband erschienen. Antiquarisch ohne Probleme zu bekommen.
Falls sich jemand für eine gelungenere Rezension als die obige interessiert: Uwe Neuhold rezensiert gekonnt wie immer und schreibt: "... es verschmelzen [...] die beiden Romane zu einer Einheit, die mehr als die Summe ihrer Teile ist." Und genau so ist es.
erschienen im SF-Jahrbuch 2010