2. November 2022 3 Likes

„Geschichten aus der Heimat“ – Ein Blick ins Herz der zeitgenössischen russischen Seele

Dmitry Glukhovsky, Autor von „Metro 2033“, lässt kaum ein gutes Haar an seiner Heimat

Lesezeit: 3 min.

Ausgerechnet der Autor von Science-Fiction-Romanen als „Stimme der literarischen Opposition“ Russlands? Vielleicht ganz passend, mutet das zeitgenössische Russland von Außen doch zunehmend wie ein dystopischer Überwachungsstaat an, der es gerade deswegen auch nötig macht, sich den Mitteln des Genres zu bedienen, um Kritik zu üben.

Zumal wenn man als Autor im Staat, über den man schreibt, lebt, so wie es Dmitry Glukhovsky, Autor der Bestseller „Metro 2033“ (im Shop) und seiner Fortsetzungen, tat, als er die zwanzig Kurzgeschichten schrieb, die nun erstmalig auf Deutsch im Sammelband Geschichten aus der Heimat“ (im Shop) veröffentlicht werden. Inzwischen lebt Glukhovsky im Exil in Deutschland, als vehementer Kritiker des Krieges in der Ukraine geriet er auf eine schwarze Liste und musste um sein Leben fürchten. Was sein persönliches Leben zwar verkompliziert, ihn für ein westliches, nicht zuletzt deutsches Publikum allerdings besonders interessant macht. Etliche Talkshow Auftritte unter anderem bei Markus Lanz hat er schon absolviert, weitere werden folgen, zu saftig und süffisant sind die von Christiane Pöhlmann, Franziska Zwerg und M. David Drevs übersetzten Geschichten, die Glukhovsky weniger als Sammlung von Erzählungen verstanden haben will, sondern, wie er im Vorwort des Bandes formuliert „als Metaroman, dessen Protagonist das russische Leben ist.“ Und das ist geprägt von Korruption und Machtmissbrauch, Wodka und Potemkinschen Dörfern.

Fast alle Geschichten entstanden 2010/12, spielen im Moskau der Gegenwart, das aber stets leicht verfremdet erscheint. Seit jeher wählten russische Autoren zum Selbstschutz gern die Form der Satire, verfremdeten den Blick auf die Realitäten ihres Landes gerade genug, um sich nicht allzu sehr angreifbar zu machen.

So geht auch Gluhkovsky vor und doch bleibt stets klar worauf er abzielt. In der Geschichte „Die wichtigste Nachricht“ etwa bedient er sich eines Sci-Fi-Motivs, der Landung eines UFOs auf dem Dritten Ring in Moskau, mitten im Berufsverkehr. Dort sieht gerade ein junger Journalist seine Karriere dahinfließen, doch mit dieser Sensationsmeldung wird er bestimmt sofort auf Sendung gehen können. Doch in den Nachrichten kommt immer etwas vermeintlich wichtigeres dazwischen, erst ein Bericht über den Premier, dann einer über den Präsidenten, bis keine Sendezeit mehr übrig geblieben ist. Und das beste: Weder die Passanten, noch der junge Journalist stören sich daran, dass banalen Alltagsmeldungen mehr Raum gegeben wird, als einer Weltsensation.

Überhaupt der Präsident: Auch wenn seine Präsenz stets im Hintergrund mitzuschwingen scheint, wird Wladimir Putin auf über 400 Seiten nur ein einziges Mal erwähnt und dann auch nur als Autor des (fiktiven) fünfbändigen Werks „Worte und Taten.“ Seine Kritik am Regime, dem Zustand seines Landes, verpackt Glukhovsky lieber in gut versteckten Bosheiten, zeichnet dabei das Bild eines Landes, das nach Orientierung sucht, aber vielleicht noch zu sehr im Selbstbild alter Größe verhaftet ist, um sich gegen seine Machthaber aufzulehnen.

Süffig geschrieben sind diese „Geschichten aus der Heimat“, sprachlich zwar weit von den Größen der russischen Literatur entfernt, inhaltlich aber ganz gegenwärtig. Und gerade in Deutschland, wo man nicht erst seit dem 20. Februar zwischen Russophilie und „lieber tot als rot“-Extremen schwankt, ein willkommener Blick ins Herz der zeitgenössischen russischen Seele.

Dmitry Glukhovsky: Geschichten aus der Heimat • Erzählungen • Aus dem Russischen von David Drevs, Christiane Pöhlmann und Franziska Zwerg • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 460 Seiten • Hardcover • 24,– (im Shop)

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