Messerscharfer Cyberpunk aus Südafrika
Lauren Beukes’ Roman „Moxyland“ auf Deutsch
In Sachen Literatur wird Südafrika inzwischen längst nicht mehr darauf reduziert, das Geburtsland von J. R. R. Tolkien zu sein. Heute ist Südafrika ein regelrechtes It-Land der Gegenwartsliteratur. Speziell im Krimi-Bereich boomt das Importgeschäft mit südafrikanischer Prosa seit Jahren, egal ob die Werke von Thriller-Routiniers wie Roger Smith oder aktuelle Novitäten wie „Die Unschuld stirbt, das Böse lebt“ von Paul Mendelson, dessen Roman-Erstling prompt für den englischen Gold Dagger-Krimipreis nominiert wurde. Und dann ist da natürlich noch Lauren Beukes …
Sie lernte der deutschsprachige Leser zunächst als Comic-Autorin kennen, die einen gelungenen Band des „Fables“-Spin-Offs „Fairest“ verfasst hatte. Anschließend erschien als erstes Buch ihr superber Zeitreise-Serienkiller-Thriller „Shining Girls“ bei Rowohlt auf Deutsch, gefolgt vom ungewöhnlichen, mit dem Arthur C. Clarke Award ausgezeichneten Noir-Gemisch „Zoo City“ und dem ebenso düsteren wie übersinnlichen Krimi „Broken Monsters“, mit dem sich die 1976 geborene Beukes hierzulande schließlich die Aufmerksamkeit des Feuilleton und des Mainstreams sichern konnte. Umso kniffliger ist es, dass ausgerechnet jetzt ihr Debütroman „Moxyland“ als vierter Titel ins Deutsche übertragen wurde. Oh, der Cyberpunk-Roman an sich ist erstklassig, und Science-Fiction-Fans werden ihn verschlingen und lieben – darum geht es gar nicht.
Doch für den gerade erst an Beukes herangeführten Mainstream könnte es gleich wieder viel zu viel Genre sein. Denn die talentierte Südafrikanerin, die früher u. a. als Journalistin im gefährlichen Johannesburg auf Story-Hatz ging, macht keinerlei Zugeständnisse an Leser, die mit SF nur wenig anfangen können. In der Konsequenz ist „Moxyland“ andererseits ein ziemlich grandioser Cyberpunk-Roman, der geistig dem Schaffen von Cory Doctorow (im Shop), Ramez Naam (im Shop) und Max Barry (im Shop) ganz nahe ist und aus gutem Grund von Genre-Pionier William Gibson (im Shop) in höchsten Tönen gelobt wurde. Durch das Setting kommt noch eine große Portion Neill Blomkamp dazu, und im Kopf wummern parallel zur Lektüre die Raps von Die Antwoord.
Mithilfe rotierender Ich-Erzähler lässt Beukes eine keine zwanzig Jahre entfernte Zukunft real werden, in der im Kapstadt von Morgen eine neue Apartheid herrscht. Hautfarbe spielt keine Rolle, sehr wohl aber Firmen-Zugehörigkeit, Zugang zur digitalen Welt und – natürlich – Kapital. Das Ansehen des Arbeitgebers und die Wichtigkeit des eigenen Jobs definieren das gesellschaftliche Standing und die individuellen Möglichkeiten. Softdrink-Firmen injizieren Testpersonen Nano-Roboter, die den Körper samt Immunsystem verbessern, jedoch zugleich das Verlangen nach dem Getränk erhöhen. Die Grenzen zwischen virtueller und analoger Welt verschwimmen vollständig in Online-Games, die auf beiden Ebenen stattfinden. Video-Tagebücher, die mit Kamera-Mänteln aufgenommen werden, sind das neue Podcast-Phänomen. Nachrichten werden zensiert, und Kunst muss immer radikaler sein. Engstirnige Polizisten, die von künstlich verbesserten Spürhunden begleitet werden, können Verdächtigen durch deren eigenes Smartphone üble Stromschläge verpassen. Strafen haben zur Folge, dass der Betroffene vorübergehend offline genommen wird, womit ihm der Zugang zur U-Bahn genauso verwehrt bleibt wie zu seinem Wohnviertel. Und politische Aktivisten werden von einer Geheimpolizei gejagt, die alles und jeden überwacht und sogar biologische Waffen einsetzt …
Lauren Beukes nimmt sich viel Zeit, um ihre Protagonisten aus verschiedenen Schichten reihum in kurzen Kapiteln zu charakterisieren und anhand ihrer Leben bzw. an ihrer Seite das Gefälle im digitalisierten, kommerzialisierten Kapstadt der nahen Zukunft zu erkunden. Die Figuren und ihr Umfeld sind so interessant, dass Beukes es sich erlauben kann, die Schicksale ihrer Akteure erst relativ spät ernsthaft miteinander kollidieren zu lassen, die Spannungsschraube anzuziehen und den Rhythmus zu beschleunigen. Messerscharf sind ihre Extrapolarisationen und Entwicklungen aber schon unterwegs. Für das nötige Lokalkolorit sorgen derweil Slang-Ausdrücke in Zulu und Afrikaans, und dankenswerterweise hat Übersetzerin Mechthild Barth am Ende des Taschenbuchs bzw. E-Books ein hilfreiches Glossar zusammengestellt, das man jederzeit geschwind bemühen kann.
Interessanterweise, faszinierenderweise und erschreckenderweise scheint das im Original erstmals 2008 publizierte „Moxyland“ aktueller und realer zu werden, je mehr Jahre verstreichen. Ein besseres Prädikat kann man einer grimmigen, pessimistischen Cyberpunk-Vision dieser Couleur und dieses Kalibers letztlich nicht ausstellen.
Lauren Beukes: Moxyland • rororo, Berlin 2015 • 363 Seiten • Taschenbuch: 9,99 Euro
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