4. September 2018

Profi-Trolle im Informationskrieg

Slowakische Dystopie: „Troll“ von Michal Hvorecky

Lesezeit: 3 min.

Michal Hvorecky wurde 1976 in Bratislava geboren, lebte dank literarischer Stipendien aber auch schon eine Zeitlang in Wien und in Berlin. Zu seinem schriftstellerischen Schaffen gehören Romane genauso wie Erzählungen und Essays, von denen einige bereits in der „FAZ“ oder der „ZEIT“ veröffentlicht wurden. Mit seinem neuen Roman „Troll“, der in der Übersetzung von Mirko Kraetsch gerade bei Klett Cottas Tropen-Imprint erschien, legt Hvorecky nun eine Dystopie vor, die einerseits aktuelle Ereignisse und Tendenzen einfängt, andererseits aber auch den deprimierenden Kreislauf zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdeutlicht.

„Troll“ setzt in einem osteuropäischen Land ein, das nur als Reich bezeichnet wird. Hier herrscht seit Längerem eine korrupte Diktatorenfamilie, derweil ein doppelter eiserner Zaun das Reich vom Westen und der Festung Europa trennt. Das Gesundheitssystem ist nicht nur wegen des Sieges der Impfgegner ein Witz, bloß wenige reiche Familien schwimmen oben, Propaganda und Geheimpolizei haben die Leben der meisten Bürger fest im Griff. Doch es wird noch schlimmer – auch für Hvoreckys namenlosen Ich-Erzähler, der mehrere Jahre seiner Jugend in einem maroden Krankenhaus ohne echte Versorgung verbringt, dort aber immerhin seine beste Freundin kennenlernt, die allerdings von allen möglichen Drogen abhängig ist.

Nach dem Hybridkrieg tobt inzwischen der Informationskrieg, an dessen vorderster Front in Firmen organisierte Trolle kämpfen, die mit ihren aggressiven Posts Diskussionen im Internet kapern und lenken. Damit steuern sie die öffentliche Aufmerksamkeit und Meinung, zerstören sie Karrieren und Leben – und letztlich die Wahrheit, die sich allein durch Klicks und Lautstärke definiert. Um Fakten oder gar um Richtigkeit und Anstand, Überraschung, geht es nämlich schon lange nicht mehr. Hvoreckys Antiheld und seine Freundin wollen gegen diesen Wahnsinn und gegen die Profi-Trolle vorgehen, indem sie deren Taktiken und Praktiken enthüllen. Dafür müssen sie jedoch erst einmal ins Herz einer jener Firmen vorstoßen, in denen die Trolle ihre Angriffe planen und umsetzen, und sich dort einen Ruf als Trolling-Spezialisten erarbeiten. Das bedeutet, dass sie selbst gegen jeden und alles hetzen, jede noch so abwegige Überzeugung nutzen, Feindseligkeit schüren und Lügen verbreiten …

Michal Hvorecky scheint in seinen Roman, der im handlichen Hardcover auf gerade mal 200 Seiten kommt, alles reingepackt zu haben, was man an den Sozialen Medien, an Kommentaren unter Artikeln auf Nachrichtenseiten sowie an den Foren in den Weiten des World Wide Web hassen und verachten kann: rechten und linken Extremismus, Diskussionen über Homöopathie, Stimmungsmache gegen Minderheiten, abstruse Verschwörungstheorien, naive Gutgläubigkeit und gedankenloses Lemming-Verhalten, und natürlich Fake-News. Gleichzeitig macht vor allem die erste Hälfte von „Troll“ erschreckend deutlich, dass viele dieser Dinge und ihrer Folgen kein Phänomen der Digitalisierung und des Informationszeitalters sind, sondern dass wir uns eigentlich nur im Kreis drehen und dass sich lediglich die Mittel und die Plattformen verändern, während die Inhalte und Methoden im Verlauf der Menschheitsgeschichte bereits mehrere Inkarnationen durchlaufen haben.

Hvoreckys schmale, topaktuelle Dystopie zwischen Orwell und Lem ist dramaturgisch keinesfalls makellos, aber trotzdem äußerst treffsicher und wichtig.

Michal Hvorecky: TrollTropen, Stuttgart 2018 • 215 Seiten • Hardcover: 18,00 Euro

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.