„Smart City“- Leben und Sterben in der Stadt der Zukunft
Ein allegorischer Roman über Migration und eine künstliche Superstadt
Es beginnt ganz harmlos, geradezu bukolisch. Gerade so wie das Leben in der von KI und anderem High Tech geprägten Plankstadt NEUDA sein soll, so wie die Macher es versprechen, so wie es aber in Wirklichkeit – natürlich – nicht abläuft.
Wie eine Parabel wirkt „Smart City“ (im Shop), der neue Roman des österreichischen Autors Daniel Wisser, der in seiner Heimat eine bekannte Größe des Literaturbetriebs ist, der auch schon mit dem Österreichchischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Sein Anspruch ist nun nicht der, einfach nur eine dystopische Welt zu beschreiben, eine spannende Geschichte zu erzählen. Wisser strebt nach einer allegorisch überhöhten Darstellung der vor allem österreichischen, aber grundsätzlich ganz einfach westlichen Realität, die sich bei genauem Lesen gar nicht so sehr von unserer Gegenwart unterscheidet.
Auch wenn Wisser seinen allwissenden Erzähler, der aus erhöhter, geradezu gottgleicher Position auf das Geschehen blicken lässt, anfangs eine breite Phalanx von Figuren vorstellt, konzentriert sich die Erzählung bald auf die Hauptfigur Morgan Oliphant. Als Neuzugang in NEUDA entdeckt sie die Möglichkeiten und Missstände einer Stadt, in der alles anders sein soll: Zwar liegt NEUDA nur wenige Kilometer von Wien entfernt, doch weder Kriminalität soll es hier geben, noch Autos (zumindest dieses Versprechen wird eingelöst), aber auch keine Migranten. Zumindest nicht offiziell, denn inoffiziell sind es Menschen aus dem Balkan oder Rumänien, die täglich nach NEUDA kommen, um die Wohnungen der Bewohner zu putzen, aber auch den Müll zu entsorgen, mit dem praktischen Nebeneffekt, dass in NEUDA – angeblich – kaum Müll produziert wird.
Nicht die einzige Lüge, mit der auf das eigene Image gepocht wird, auch mit Hilfe der Zeitung „Timeline“, die seltsamerweise immer noch auf Papier erscheint. Hier soll Morgan eine Kolumne schreiben, von ihrem Alltag berichten, was eine ganze Weile auch gut geht, zumindest so lange, wie Morgan sich an manche geschriebene, vor allem aber viele ungeschriebene Regeln hält
Doch Morgan hat eine Vergangenheit, die ein wenig gewollt eine Verbindung zwischen ihr und den finsteren Hintermännern von NEUDA herbeiführt. Vor einigen Jahren wurden Morgans Mann und ihre Tochter brutal ermordet, sie selbst wurde schwer verletzt und ist immer noch traumatisiert. Ihr Mann war ein bekannter investigativer Journalist und mehr muss man kaum andeuten, damit jedem halbwegs mit den Mustern von Krimis Vertrauten klar ist, wie all das mit dem Projekt NEUDA zusammenhängt.
Wisser bemüht sich nun auch gar nicht erst, Spannung zu erzeugen, sondern spielt statt dessen lieber mit Bezügen zur österreichischen Realität. Ähnlich wie in Deutschland nimmt auch im Nachbarland die Aversion gegen Migranten zu, stellt sich angesichts von zwar in Österreich geborenen, aber Eltern etwa aus Bosnien oder Serbien haben, zunehmend die Frage, wer denn nun eigentlich als „richtiger“ Österreicher gelten darf. Dementsprechend wird in NEUDA konsequenterweise eine Zweiklassengesellschaft eingeführt, mit Bürgern unterschiedlicher Gruppen.
Wie sich im Vorlauf des Romans herausstellt, planen die Betreiber der Stadt dieses Konzept demnächst auch in Wien und mittelbar im ganzen Land einzuführen. Viele Themen unserer Zeit streift Wisser, von der Manipulation durch soziale Medien, über eine gewisse Scheinheiligkeit, wenn es um Umweltschutz und Eigenverantwortung geht, bis hin zur Verknüpfung von wirtschaftlichen Interessen und politischer Macht. Als Krimi oder Dystopie funktioniert das zwar nur bedingt, als Allegorie auf die gegenwärtigen Verhältnisse aber umso besser.
Daniel Wisser: Smart City • Roman • Luchterhand, München 2025 • 416 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 25,00 € • im Shop
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