„Später“ von Stephen King
Ein Pulp-Krimi und eine moderne Geistergeschichte vom König des Horrors
[Repost des Artikels vom 15. März 2021 aus Anlass der Taschenbuchveröffentlichung.]
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Die wunderbare Hard Case Crime-Reihe präsentiert alte und neue Romane, in denen die puligen Traditionen und Tugenden des amerikanischen Krimi-Taschenbuchs hochgehalten werden. Rund 150 Bücher sind seit 2004 in der unwiderstehlichen Edition herausgekommen, die zeitweise bei Rotbuch eine deutschsprachige Entsprechung im Originaldesign hatte, die schmerzlich vermisst wird. Wer den Veröffentlichungen mit dem Hard Case Crime-Logo folgt, kann sich an Werken von Hardboiled/Noir-Genies wie Donald E. Westlake, Ed McBain, Mickey Spillane, Lawrence Block, Ken Bruen, Jason Starr, Christa Faust, Max Allan Collins und vielen mehr erfreuen. Selbst Harlan Ellison (im Shop), Ray Bradbury (im Shop), Robert Silverberg (im Shop) und Stephen King (im Shop) sind mit Büchern darin vertreten. Im Fall von King erschienen so etwa eine Neuausgabe von „Colorado Kid“ (im Shop) und die englischsprachige Erstausgabe von „Joyland“ (im Shop) mit dem Siegel von Hard Case Crime – so, wie nun auch Kings neuer Roman „Later“, der auf Deutsch als „Später“ bei Heyne vorliegt (im Shop). Endlich wieder Hard Case Crime auf Deutsch! Und dann noch vom Meister persönlich …
Im Buch schildert Jamie Conklin rückblickend seine Jugend. Jamie wächst in Manhattan bei seiner alleinerziehenden Mutter Tia auf, die als gestresste Literaturagentin den Familienbetrieb übernommen hat und am Laufen halten muss. Als sie wegen fragwürdiger Investitionen und des Bankencrashs in finanzielle Schwierigkeiten gerät und obendrein ihr wichtigster Autor stirbt, bevor er seine Bestseller-Serie abschließen kann, ist Jamie Tias letzte Hoffnung. Denn Jamie hat das düstere Talent, die Toten kurz nach ihrem Dahinscheiden sehen und noch eine Weile mit ihnen sprechen zu können. (Ja, wie in dem Film mit Bruce Willis, den King und Jamie selbstverständlich kennen und ansprechen. Und doch anders, mit einem ganz klassischen King-Twist, wie zu erwarten.) Aber auch Liz, die Cop-Freundin von Jamies Mutter, interessiert sich eines Tages für sein Talent, das auf der übersinnlichen sowie der weltlichen Ebene viel Finsternis in dieses junge Leben in Präsenz der Toten bringt …
In „Später“ kanalisiert der 73-jährige König der Spannungsliteratur die gern unterschätzte Qualität vieler Pulp-Autoren, schnörkellose, grelle Geschichten zu inszenieren, die leicht als Fast Food abgetan werden können und gern mal eine krasse Wendung zu viel haben, jedoch unbestreitbares handwerkliches Können voraussetzen, damit sie sich so leicht anfühlen und man sie so leicht und gern konsumiert (ein Resümee, das man im Grunde auf viele erfolgreiche King-Bücher anwenden könnte, ohne dass das etwas an der Hochachtung für ihn und sein Schaffen ändern würde, im Gegenteil.). Nach all den Jahrzehnten sollte man es sich vermutlich schenken, auf Kings Können als Erzähler hinzuweisen. Trotzdem stellt es jedes Mal ein Vergnügen dar, dem Bestsellerlistenkönig aus Maine durch ein Buch wie „Später“ zu folgen. Die sympathische, ungekünstelte, direkte Erzählstimme erreicht einen von der ersten Seite an, King hat seinen Spannungsbogen jederzeit im Griff, er kennt seine Pulp-Vorbilder und spickt die vermeintlich simple Story auf angenehm überschaubaren 300 Seiten mit kleinen Extravaganzen und Nettigkeiten.
Zwischen dem coolen Geisterhorror und der soliden Krimihandlung beschwört er so etwa den wahren Horror des Lebens: schwere Krankheiten, Pflegesituationen, Geldsorgen, den Verlust geliebter Menschen. Auch ist es stets großartig, wenn der literarische Routinier die ihm bestens vertraute Buchbranche in seinen Geschichten verarbeitet – in „Später“ gibt er uns einen fiktiven Autor mit einer historischen Buchserie über die Roanoke-Siedlerkolonie. Und während King mal wieder seinen kritischen Spaß mit Literaturkritiken und den US-Medien hat, ist sich der Superstar überdies nicht zu schade, sich am Ende selbst zu zitieren, nämlich den wunderbaren Satz: books are a uniquely portable magic. Das hat er sich verdient.
Eigentlich tut Stephen King in „Später“ nur, was er schon oft getan hat: Er erzählt von einem Jungen, der sich beim Erwachsenwerden der alltäglichen sowie der übernatürlichen Finsternis stellen muss. Aber weil King das so gut macht wie kaum ein anderer, ist das einmal mehr großartige Unterhaltung. Ein Buch, das man eher früher denn später lesen sollte, und dann höchstwahrscheinlich an einem Samstagnachmittag oder Abend verschlingt.
Königlicher Pulp eben.
Stephen King: Später • Heyne, München 2021 • 304 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook, Hörbuch MP3-CD, Hörbuch Download und Taschenbuch • Preis des Taschenbuchs: 12,– Euro (im Shop)
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