11. November 2016 2 Likes

Träumen Androiden von klassischer Literatur?

Ariel S. Winters Roboter-Roman „Mr. Sapien träumt vom Menschsein“

Lesezeit: 3 min.

Mr. Sapien ist einer der letzten von Menschenhand gebauten Androiden in einer Zukunft, in der es fast keine Menschen mehr gibt und Roboter sich selbstständig vermehren. Eine Sinnkrise führt Sapien raus aus der Stadt und an die englische Küste, wo er sich in einer kleinen Strandhütte einmietet, die zum Anwesen Barren Cove gehört. In der neuen Umgebung lernt der humanoide Mr. Sapien junge Roboter kennen, die sich durch Modifikationen bewusst von der menschengeprägten Erscheinung abgrenzen, mit Datenchips via USB-Port zudröhnen und aus Jux auch schon mal einen alten Mann verprügeln. Durch einen Hack des Systems seiner Vermieter erfährt Mr. Sapien zudem alles darüber, was sich in den letzten Jahren in Barren Cove oben auf den Klippen abspielte, das der alte Roboter Asimov 3000 einst von seinem menschlichen Besitzer geerbt hat. Später nahm er ein menschliches Findelkind bei sich auf und zog es mit seinen eigenen beiden künstlichen Kindern auf, was nicht ohne Probleme und Tragödien ablief, wie Sapien erfährt …

Ariel S. Winter hat vor „Mr. Sapien träumt vom Menschsein“ bereits das Bilderbuch „One of a Kind“ und den traditionsbewussten ‚Hard Case’-Krimi „The Twenty-Year Death“ verfasst, außerdem betreibt er den Blog We Too Were Children, Mr. Barrie zum Thema Kinderbücher, die von ‚Autoren für Erwachsene’ geschrieben wurden. Überdies hegt der Amerikaner eine Vorliebe für altenglische Klassiker wie „Frankenstein“ von Mary Shelley und „Sturmhöhe“ von Emily Brontë. Deren Geister sind in Mr. Sapiens Geschichte sogar deutlich zu spüren, schließlich widmete sich Shelley bereits 1818 der anhaltenden Faszination des künstlichen, von Menschenhand geschaffenen Lebens, und Brontë erzählte 1847 in ihrem einzigen Roman die tragische Geschichte der Bewohner eines hoch gelegenen englischen Familiensitzes, in dem ein Findelkind eine wichtige Rolle spielt. Winter darf also eine gewisse Nähe zur Gothic Fiction mitsamt ihrer Byron’schen Antihelden attestiert werden.

Aber natürlich setzt Winter in seinem Roman, der im Original schlicht „Barren Cove“ heißt und von Cory Doctorows (im Shop) Stammübersetzer Oliver Plaschka ins Deutsche übertragen wurde, zugleich bewusst das fort, was Karel „Robot“ Čapek, Isaac „Robotergesetze“ Asimov (im Shop) und Philip K. „Träumen Anroiden von elektronischen Schafen?“ Dick (im Shop) über die Jahre hinweg geschaffen haben – das, was man als die fiktive Entwicklung und Geschichte der Roboter und Androiden bezeichnen mag. Winter führt all das weiter, indem er vom technischen Stand unserer Gegenwart ausgeht und eine Zukunft erschafft, in der sich die Anroiden nach dem weitgehenden Niedergang der Menschheit endgültig zu emanzipieren versuchen, in vielen Fällen jedoch trotzdem nur wieder ihren Erbauern nacheifern, während sie Liebe, Hass, Sorge, Angst und Eifersucht verspüren. Dabei erinnert nicht nur die überschaubare Seitenzahl des für heutige Verhältnisse ungewöhnlich schmalen Romans an ein anderes Zeitalter der Science-Fiction-Literatur. Der Ton der Geschichte um das Seelenleben der Roboter wirkt ebenfalls wie aus einer anderen Ära, obwohl Winter wesentlich mehr ‚zwischen den Zeilen schreibt’. Stören tun die Echos der Gothic Fiction oder der SF-Vergangenheit letztlich nie, im Gegenteil.

„Mr. Sapien träumt vom Menschsein“ ist kein Reißer und auch nicht das beste Science-Fiction-Buch der Saison, aber auf alle Fälle ein interessanter und lesenswerter Androiden-Roman mit mehr als einem klassischen Einfluss.

Ariel S. Winter: Mr. Sapien träumt vom Menschsein • Knaur, München 2016  • 240 Seiten • Paperback: 14,99 Euro

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