19. September 2014 2 Likes

Welt ohne Terror

Lavie Tidhars Alternativwelt-Roman „Osama“

Lesezeit: 3 min.

Der 1976 geborene Lavie Tidhar wuchs in Israel auf und lebte in Südafrika, England und Laos. Zu seinen Werken als Autor gehören Kurzgeschichten, Romane wie die „Bookman-Serie“ und Martian Sands, Comics wie „Adolf Hitlers I Dream of Ants“ und Bilderbücher wie die charmante All-Age-Geschichte „Going to the Moon“. Tidhar lebt derzeit in London. Hier findet man seinen Blog. Dieses Wochenende ist der international erfolgreiche, mit dem World Fantasy Award ausgezeichnete Tidhar einer der Gäste auf dem Elstercon in Leipzig. Wir werfen noch einmal einen Blick auf seinen mit dem World Fantasy Award ausgezeichneten Alternativwelt-Roman „Osama“.

In seinem Roman „Osama, der 2013 als schick aufgemachtes Hardcover bei Rogner & Bernhard auf Deutsch erschienen ist, legt der kosmopolitische Autor Lavie Tidhar aus Israel, der auf seinen Reisen mehrfach selbst mit Terroranschlägen konfrontiert wurde, einen interessante Weltenentwurf vor: In seiner Alternativwelt gibt es keinen Terrorismus. Das heißt, es gibt ihn schon, jedoch einzig und allein in den fiktiven Büchern von Mike Longshott, die bei einem französischen Verlag für skandalöse Schund- und Sexromane herauskommen und sich um Osama bin Laden, den Vergelter, drehen.

Eben diesen Mike Longshott soll Privatdetektiv Joe in seinem 20. Jahrhundert ohne islamistischen Terror finden. Das ist der Auftrag, dem ihm eine schwer zu fassende Schönheit in Vientiane gibt. Dafür, dass bin Laden und der Krieg gegen den Terror in dieser Alternativwelt lediglich in billigen Groschenromanen existieren, muss sich Joe jedoch auf eine ganz schön seltsame Schnitzeljagd begeben und zudem allerhand Drohungen und Schläge einstecken. Denn sein Interesse an Longshott bleibt weder unbemerkt, noch ist es willkommen, wie Joe rasch herausfindet, ehe ihm klar wird, dass hinter der Sache noch weit mehr steckt – dass er selbst direkt betroffen ist und nun auf Gedeih und Verderb hinter den Spiegel blicken muss. Dafür reist er nach Paris, nach London und auf die OsamaCon in New York, wo es sogar Osama-Fanzines, I Love Osama-Shirts und Osama-Geeks gibt…

Über weite Strecken ist Lavie Tidhars „Osama“ ein klassischer Detektiv-Roman, der knapp daran vorbei schrammt, eine besonders, ja herrlich sprachgewandte Persiflage auf die typischen Hardboiled-Ermittler zu sein. Dabei sind es insbesondere die vielen ungeklärten und ungesagten Dinge, die einen bei der Stange halten. Die Gewissheit, dass der große Clou, der irgendwann ständig durchschimmert und die Konsistenz dieser alternativen Welt immer heftiger bedrängt, bald enthüllt wird. Das kann besonders im Mittelteil des World-Fantasy-Award-Gewinners von 2012, der gern und nicht zu unrecht als eine Mischung aus Raymond Chandler und Philip K. Dick beschrieben wird und überdies einige Parallelen zu China Miéville und natürlich Matt Ruff aufweist, allerdings schon mal über Gebühr strapazieren, ganz egal wie schön die Sätze weiterhin sind und wie sehr Joe als Protagonist in diesem rätselhaften Krimi Noir zwischen den Welten taugt. Dann kommt der Trick endlich, die Ahnungen werden konkret, und zum Konzept und der wundervollen Sprache und dem grandiosen Schnüffler gesellt sich, fast zu spät aber doch gerade noch rechtzeitig, wieder ein ordentlicher Spannungsbogen. Zähne zusammenbeißen lohnt sich für Joe wie für den Leser gleichermaßen, obwohl Joe am Ende der Verschwörungsgeschichte mit ihrer diffusen Noir-Ausleuchtung beim Erkenntnisgewinn so einiges verliert.

Stilistisch jederzeit überragend und Miéville sowie Ruff vom Duktus her näher als etwa Norman Spinrad, hat Lavie Tidhar sicherlich den definitiven, wenngleich dramaturgisch nicht tadellosen Alternativwelt-Roman für die Post-9/11-Ära vorgelegt.

Lavie Tidhar: Osama • Rogner & Bernhard, Berlin 2013  • 303 Seiten • € 22,95

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