Wenn das Internet verschwindet
Matthew Mathers Roman „Cyberstorm“ zeigt, wovor wir uns wirklich Sorgen machen sollten
Cyberattacken, Software-Sicherheitslücken, Hackerangriffe – Zutaten, die in keinem guten Cyberthriller fehlen dürfen. Doch wo die Herren Doctorow, Suarez und Co. sich (zu?) oft auf die technischen Seiten des virtuellen Kampfes stürzen, geht es Mathew Mather in seinem Roman „Cyberstorm“ vor allem darum, aufzuzeigen, welche Auswirkungen ein Cyberangriff auf die Menschen und die mitunter mehr als fragile Gesellschaft, in der sie leben, hat. Michael Mitchell lebt mit seiner Frau Lauren und seinem kleinen Sohn Luke in einem Apartmenthaus in Manhattan. Vor allem mit seinem Nachbarn Chuck und dessen Familie versteht Mike sich prächtig, auch wenn Chuck mit seinen Vorbereitungen für den Weltuntergang mitunter ziemlich eigenwillig wirkt. Am Heiligen Abend scheint es jedoch so, als wäre Chuck derjenige, der Recht mit seiner Paranoia bekommen sollte: Ein Schneesturm fegt über die Ostküste der USA, Manhattan ist komplett eingeschneit, und auch das Internet und Telefonleitungen sind betroffen. Was zuerst noch wie eine Naturkatastrophe wirkt, erweist sich schnell als wesentlich mehr als das: Durch Hackerattacken wird Schritt für Schritt alles lahmgelegt, von der Verkehrsampel bis zum Krankenhaus.
Was dann passiert, ist der schrittweise Zerfall der Gesellschaft: Gerüchte von Vogelgrippe-Erkrankungen machen die Runde, Panik bricht aus, die Newssender im Fernsehen scheinen auch nicht mehr zu wissen als Mike und Chuck, und die Situation in Manhattan gerät langsam, aber sicher außer Kontrolle. Es kommt nicht nur zu Plünderungen und Diebstählen, vor allem die kleine Gemeinschaft aus Nachbarn in Mikes Apartmenthaus bricht immer mehr auseinander. Es kommt zu einer Aufspaltung in Lager, und obwohl man sich hilft, so gut es eben geht, macht Prepper Chuck schnell klar, wo seine Prioritäten liegen, wenn es hart auf hart kommt. Über allem schwebt immer die Frage, wer eigentlich hinter der Attacke steckt, worum es eigentlich geht, und wie vertrauenswürdig die Informationen sind, die durch die wenigen noch funktionierenden Radio- und Fernsehsender verbreitet werden. Gerade diese „Mikrokosmos“-Einstellung ist es, die den Leser eng an das Schicksal der einzelnen Figuren bindet, und immer mehr verschiebt sich die Perspektive weg von dem, was in der Welt vorgehen mag, und hin zu den akuten Problemen, mit denen die Hausbewohner konfrontiert sind. Wasser- und Nahrungsmittelversorgung, Strom und Heizung, Kommunikation – und immer wieder die Frage, wie sehr man anderen helfen kann, wenn für das eigene Leben und das der Familie nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen.
Was Mather vor allem durch seine Figur Mike Mitchell hervorragend gelingt ist die Darstellung des titelgebenden Cyberstorms: Mitchell, die Finger immer am Smartphone, Tablet oder Computer, kann und will nicht glauben, dass etwas wie das Internet einfach so zusammenbrechen kann. Natürlich, so redet er sich immer wieder ein, sei das alles nur vorübergehend, eine Sache von Stunden; später die von Tagen. Mehr und mehr gehen ihm (und damit uns Lesern) die Zusammenhänge und wechselseitigen Abhängigkeiten in unserer Infrastruktur auf – und damit auch, wie verwundbar sie ist. Aus der vermeintlichen kleinen Störung, die keine ernsthaften Auswirkungen auf das reale Leben haben kann, wird eine Katastrophe, die ernsthaft gefährlich für Mike und seine Familie werden kann. Bis er vor der Frage steht, wie es weitergehen soll, wenn Hilfe wirklich nicht kommt? Die Methoden, mit denen sich die immer verzweifelter werdenden Bewohner in Manhattan, das im Laufe des Romans wirklich zu einer Insel wird, zu helfen versuchen, sind jedenfalls so ideen- wie trickreich, und auch als Chuck und Mike beschließen, dass sie die Stadt verlassen müssen, wenn sie und ihre Familien überleben wollen, fällt ihnen allerhand ein, um sich auch auf dem Land durchzuschlagen. Und das müssen sie auch, denn Mather hält das Tempo des Romans konstant hoch und legt seinen Figuren ein schier unüberwindliches Hindernis nach dem anderen in den Weg.
Matthew Mathers „Cyberstorm“ zeigt weniger das große Gesamtbild einer Cyberattacke auf die USA, die säuberlich aus jedem Blickwinkel ausgeleuchtet wird, sondern vielmehr die Auswirkungen auf die kleinsten Einheiten, auf einzelne Menschen und ihre Familien, ihre Freunde (und erinnert daher reich technisch gesehen ein klein wenig an „The Walking Dead“). Es ist vor allem diese Limitierung der Perspektive, die „Cyberstorm“ zu einer sehr eindringlichen Lektüre macht, die angesichts der gerade bestehenden Witterungsverhältnisse das Aufstehen vom bequemen Lesesessel wirklich erschwert. Auch im Hinblick auf die Verfilmung (wir berichteten) lässt gerade eine solche Romanvorlage Großes erwarten. Und wer sich für den Ernstfall vorbereitet, könnte hier das ein oder andere zum Thema „Plündern, aber nett!“ lernen.
Matthew Mather: Cyberstorm • Roman • Aus dem Amerikanischen von Norbert Stöbe • Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 • 448 Seiten • € 9,99 • im Shop
Kommentare