22. Mai 2013

Wenn Sie wüssten, woran Sie sterben werden…

… wie würden Sie sich verhalten? – „Machine of Death“ gibt Antwort

Lesezeit: 2 min.

Dieses köstliche Buch hielt ich zuerst für eine ausschließlich auf die Facebook-Generation ausgerichtete Marketingblase, war dann beim Lesen jedoch zunehmend positiv überrascht. Es sind keine tiefgehenden physikalischen oder wirtschaftlichen Themen, um die es hier geht, sondern einfach nur die kleine, aber verhängnisvolle Frage: »Wenn Sie wüssten, woran Sie sterben werden – wie würden Sie sich verhalten?« Mitherausgeber Ryan North, der die Idee vor einigen Jahren eher beiläufig in einem Comic aufwarf, versammelt dreiunddreißig weitere junge Autoren, die sich in ihren Kurzgeschichten einer denkbar simplen Vorgabe unterwerfen: Jede Story beginnt mit einem Zettel, auf dem eine Todesursache steht. Etwa »Hungertod«, »Selbstmord« oder »Explosion«.

Dieser Zettel stammt aus einer fiktiven Maschine, die anhand der blitzschnellen Analyse eines einzigen Bluttropfens jedem beliebigen Menschen voraussagen kann, wodurch er ums Leben kommen wird. Das könnte nun literarisch sehr schnell eintönig werden, doch die Autoren behelfen sich mit einem genialen Kunstgriff: Die Technologie macht zwar stets wahre Aussagen, versieht sie aber erstens nicht mit einem Todesdatum und verpackt sie zweitens manchmal in unklare oder doppeldeutige Formulierungen. Die hinterhältigen Formulierungen können somit auch lauten: »Nicht winkend, sondern ertrinkend«, »Liebe ad nauseam« oder gar »Wärmetod des Universums«.

Es ist ganz erstaunlich, wie die Geschichten aus dieser kargen Ausgangslage nicht nur persönliche Dramen und verblüffende Wendungen erschaffen, sondern soziale Verwerfungen und Subkulturen rund um die Todesgewissheit der Individuen erschaffen. Wenn sich etwa in Schulkantinen oder auf Parties die Menschen freiwillig nach gleicher Todesart gruppieren oder soziale Rankings aufgrund spektakulärer Vorhersagen entstehen, ist das nicht nur Humor von der schwärzesten Sorte, sondern verblüffend oft auch ein mitfühlendes Verstehen der menschlichen Psyche.

Die Spannung der Geschichten ergibt sich in den meisten Fällen aus drei Fragen: Wie funktioniert diese Maschine? (Dies wird sogar erstaunlich gut erklärt, obwohl es im Grunde völlig unmöglich ist.) Sagt sie die Wahrheit? (Ja.) Und gibt es einen Weg, die Prophezeiung auszutricksen? Besonders Letzteres führt zu einer Kette aberwitziger Versuche – etwa wenn jemand, weil ihm die Maschine Tod durch »Joy« vorhersagt, jahrelang jeglicher Freude aus dem Wege geht, nur um dann eines Tages von einem Auto überfahren zu werden, dessen Fahrerin Joy heißt. Oder wenn ein anderer durch seinen Selbstmord beweisen möchte, dass die Maschine sich irrt – nur um auf unerwartete Weise gerettet zu werden und dann erst recht wie prophezeit zu sterben.

Alles in allem handelt es sich bei »Machine of Death« (im Shop ansehen) freilich um keine große oder gar besonders ernsthafte Literatur, doch beim Lesen entwickelt sich eine wohlige Sogkraft, wie sie sonst nur von ausgezeichneten Spannungsromanen erreicht wird. Und seien Sie gewarnt: Sobald Sie glauben zu wissen, nach welchem Muster die Storys gestrickt sind, kommt schon die nächste daher, die Sie eiskalt erwischt.

Ryan North/Matthew Bennardo/David Malki (Hrsg.): Machine of Death • Anthologie · Aus dem Amerikanischen von Jörn Morisse · Wilhelm Heyne Verlag, München 2012 · 637 Seiten · € 8,99 (im Shop ansehen)

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