22. Oktober 2013 1 Likes

Er ist tot, Jim

„Redshirts" von John Scalzi

Lesezeit: 3 min.

Preisfrage: Captain James T. Kirk, Commander Spock und Dr. Leonard »Pille« McCoy lassen sich auf einen gefährlichen Planeten beamen, um – sagen wir mal – eine Rettungs- oder Erkundungsmission durchzuführen. In ihrer Begleitung befindet sich außerdem der junge, dem Fernsehpublikum bislang unbekannte Fähnrich Johnny Faceless. Einer der vier muss aus Gründen der Spannung ins Gras beißen. Wer wird das wohl sein?

Ein klarer Fall. Schließlich ist Johnny »Gott-hab-ihn-selig« Faceless das einzige entbehrliche Besatzungsmitglied der Enterprise und damit das geborene »Redshirt«. Wem der Begriff unbekannt ist: Als solche bezeichnet man jene Charaktere in TV-Serien, deren meist wortloser Auftritt nur wenige Minuten oder gar Sekunden dauert, da sie vom Drehbuchautor für einen schnellen Tod vorgesehen wurden.

Dieses dramaturgische Prinzip, das auf Kosten unwichtiger Nebenfiguren den Action-Faktor erhöht, ist dem frischgebackenen Fähnrich Andrew Dahl leider unbekannt, als er mit seinen ebenso frischgebackenen Kollegen an Bord des Flaggschiffs der Universalen Flotte Intrepid kommt. Doch schon bald beginnen Dahl und seine Freunde zu ahnen, dass die Überlebenschancen auf Außeneinsätzen umso geringer sind, je unwichtiger die Funktion der betreffenden Person an Bord des Raumschiffes ist. Das bedeutet, dass besonders frischgebackene Fähnriche anfällig für das traurige Schicksal des erwähnten Johnny Faceless sind. Von den niedrigeren Diensträngen bleiben nur diejenigen länger am Leben, die gelernt haben, ihren Vorgesetzten aus dem Weg zu gehen, wenn sich diese mal wieder auf die Suche nach Teilnehmern an irgendwelchen Abenteuern machen. Gleichzeitig scheinen sich weder Captain Abernathy, der Kommandant der Intrepid, noch eines der anderen ranghöheren und damit »wichtigen« Besatzungsmitglieder der Tatsache bewusst zu sein, dass ihr eigenes ständiges Überleben selbst der gefährlichsten Abenteuer kein Zufall sein kann. Und immer mehr kristallisiert sich heraus, dass hinter alldem ein bestimmtes Muster zu stecken scheint.

Zweite Preisfrage: Was unternehmen ein paar verzweifelte Redshirts, die gemerkt haben, dass ihr eigener Tod unabänderlich – sozusagen festgeschrieben – ist? Genau: Sie begeben sich auf die Suche nach dem dafür verantwortlichen Drehbuchautor, da sich ihr Leben offenbar innerhalb einer TV-Serie abspielt.

John Scalzi dekonstruiert in »Redshirts« (im Shop ansehen) die scheinbare Realität seiner Figuren und setzt sie in Bezug zu der ebenso scheinbaren Realität ihrer Erschaffer, nämlich der Schöpfer einer banalen TV-Serie. Diese Idee ist durchaus originell, aber nicht ganz neu. So ließ der italienische Dramatiker Luigi Pirandello schon in seinem 1921 uraufgeführten Theaterstück »Sechs Personen suchen einen Autor« imaginäre Bühnenfiguren mit der Aufforderung an einen Regisseur herantreten, er möge sie bitte schön auf die Bühne bringen, da ihr Autor ihr Leben unvollendet gelassen habe. Scalzi geht an diese metafiktionale Ebene mit großer Ironie heran, die »Redshirts« zu einem echten Lesevergnügen macht. Durch drei Codas im Anschluss an die eigentliche Romanhandlung beleuchtet er zudem die Thematik der fiktiven, weil von Menschen erschaffenen Realität auf ungewöhnliche Weise, da er hier die »Schöpfer« des Ganzen zu Wort kommen lässt – und zeigt, dass auch sie nichts anderes als Fiktionen sind. Dass Scalzi seinen Fähnrich Andrew Dahl und die anderen Charaktere in »Redshirts« nicht allzu tiefgehend gestaltet hat, sei ihm verziehen; schließlich sind sie im Grunde ja nur eine Ansammlung von Buchstaben in einem Fernsehskript.

»Redshirts« ist damit ein Roman, der auf zwei völlig verschiedenen Ebenen gleichzeitig funktioniert. Er erfreut nicht nur das Herz der Fans abenteuerlicher Space Operas, sondern auch den Verstand der Liebhaber metafiktionaler Science Fiction.

John Scalzi: Redshirts • Roman · Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen · Wilhelm Heyne Verlag, München 2012 · 432 Seiten · € 10,99 (im Shop ansehen)

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