22. Mai 2014

Kampf der Eroberer

A. Lee Martinez’ SF-Komödie „Terror der Tentakel“

Lesezeit: 4 min.

Der texanische Autor A. Lee Martinez ist der wahr gewordene Albtraum einer jeden Marketing-Abteilung. Nicht, weil er seine Romane der Horde aus World of Warcraft, Optimus Prime, Atomic Robo oder Dr. Doom widmet. Sondern weil dem 1973 in El Paso geborenen Martinez das Gesetz der Serie genauso egal ist wie der Wunsch der Verlage und des Buchhandels, einen Autor immer in derselben Genre-Ecke platzieren zu können.

Seit seinem Debütroman „Diner des Grauens“ aus dem Jahr 2005 schreibt Martinez, was er will und wonach ihm der Sinn steht. Dabei deckt er in seinen jeweils komplett für sich stehenden Einzelromanen das gesamte Themenfeld der modernen Fantastik ab. Seinem Horror-Roadmovie folgten so etwa die qualitativ und inhaltlich komplett verschiedenen Fantasy-Parodien „Kompanie der Oger“ und „Eine Hexe mit Geschmack“, ehe mit „Der automatische Detektiv“ erstmals die Science Fiction beackert wurde. Mittlerweile sind mit „Monsterkontrolle“, „Zu viele Flüche“, „Gott im Unglück“, „Der Mond ist nicht genug“ und dem noch nicht übersetzten „Helen and Troy’s Epic Road Quest“ weitere Ausflüge in alle fantastischen Subgenres hinzugekommen. Ausflüge, die sich einzig und allein der verbindenden Gemeinsamkeit erfreuen, dass Martinez’ neuester Roman jedes Mal als Wundertüte daher kommt, und dass seine Geschichten stets eine gesunde Portion Humor haben.

Mit „Terror der Tentakel“ liegt nun ein neuer Martinez auf Deutsch vor (zumindest diese alljährliche Beständig- bzw. Regelmäßigkeit gönnt Martinez den Verlagshäusern in den USA und Lizenznehmer-Ländern wie Deutschland). Der SF-Roman dreht sich um Ich-Erzähler Mollusk, einen genialen galaktischen Superschurken und arroganten Alien-Eroberer, der alles erreicht und seine Karriere als Schreckensgestalt im gesättigten Verwaltungsmodus geparkt hat. Neue Herausforderungen sind Mangelware für den Neptuner, und so beendete der von Venus-Agenten verfolgte, nichtsdestotrotz gelangweilte Warlord von Terra nach seiner Ankunft alle Kriege auf dem blauen Planeten, löste das Energieproblem der Welt, wehrte die Invasion der aggressiven Saturnbewohner ab, verbesserte die Weltraumprogramme der Terraner und veränderte die Atmosphäre auf dem Mond. Kleinigkeiten für den hochintelligenten Hobby-Denker vom Neptun. Die Quasi-Ruhestands-Routine des süffisanten Imperatoren-Kollegen von Ming dem Grausamen findet jedoch ein jähes Ende, als mit dem sinisteren Brain ein neuer, megalomanischer Schurke die Bühne des Diabolischen betritt, der Mollusks Tehnologie stiehlt und damit das Universum vernichten möchte, sodass Mollusk sich dazu gezwungen sieht, seine Tentakel, seinen Intellekt, seine Waffensysteme und seine Exoskelette paradoxerweise aktiver denn je für das Gute einzusetzen…

Dass A. Lee Martinez den gängigen Backcover-Vergleichen mit Douglas Adams oder Terry Pratchett nicht standhalten kann, spielt schon seit dem ersten Buch aus seiner Feder keine Rolle – sie waren ohnehin lediglich obligatorisch und eine Art PR-Reflex, wie der abgedroschene Tolkien-Ritterschlag für alle Fantasy-Autoren, der für gewöhnlich um die nächste Ecke lauert, sobald ein wenig Magie und ein paar epische Schlachten Teil der Handlung sind. Die meisten Bücher des inzwischen als „Kult-Autor“ betitelten Amerikaners sind dennoch auf ihre Weise ganz charmant und gewitzt, und Mollusk transportiert Martinez’ Witz als Erzähler in diesem Fall ausgesprochen gut („Die Supertechnologie war ein ständiger Wettlauf um Waffen. Der Todesstrahl von heute war der Marshmallow-Toaster von morgen.“). Martinez selbst schätzt es im Übrigen gar nicht, dass er von seinen Verlagen auf der ganzen Welt permanent als „funny writer“ bezeichnet und beworben wird. Allerdings weiß und akzeptiert er, dass er zumindest diese Schlacht gegen die Gesetze von Markt und Marketing, denen er so gerne trotzt, schon vor langer Zeit verloren hat.

In seinem Blog hat Martinez, der im Original zunächst bei Tor und danach bei Orbit verlegt wurde, gerade den Abschied von seinem aktuellen Verlag verkündet. Die Botschaft ist auch ohne böses Blut und ungeachtet der professionellen Kommunikation deutlich: Man kann den Texaner auf den Covern seiner Romane als Autor humorvoller Geschichten bezeichnen, das nimmt er zähneknirschend hin, aber er wird weiterhin genau die Bücher schreiben, auf die er Lust hat, und sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen eines Verlages richten – und schon gar nicht verbiegen. Über die Inhalte seiner Romane bestimmt er selbst, und nur er allein.

„Terror der Tentakel“ spielt nicht in der (Schurken-)Liga von „Ich – einfach unverbesserlich“ oder „Megamind“, ist aber allemal lesbar und passagenweise wieder recht vergnüglich. Und selbst wenn letztlich kein Werk von A. Lee Martinez mehr so gut und tiefsinnig war wie das sträflich missachtete „Eine Hexe mit Geschmack“ und seine Bücher oft nicht mehr als seichte Unterhaltung für zwischendurch sind, lässt ihn seine konsequente Einstellung irgendwie doch aus der Masse an literarischen Fast-Food-Produzenten hervorstechen.

A. Lee Martinez: Terror der Tentakel • Piper, München 2014 • 368 Seiten • € 9,99

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