Die Herrschaft der Familien beginnt
Die grandiose dystopische Comic-Serie „Lazarus“ startet auf Deutsch
In der dystopischen Zukunft von Greg Ruckas und Michael Larks neuer Comic-Serie „Lazarus“ herrschen mehrere große, ebenso reiche wie mächtige Familien über eine Welt, die sich demografisch immer weiter ins Extrem verändert hat. Alle anderen, die überlebt haben, sind arm und müssen als Untergebene des Clans arbeiten – oder werden von den Sippen gar als menschlicher Abfall betrachtet. Jede im Wohlstand lebende Familie verfügt außerdem über einen Lazarus, einen mithilfe von fortschrittlicher Genetik erschaffenen, übermenschlichen Champion und Avatar. Forever „Eve“ Carlyle ist der Lazarus ihrer Familie. Man gaukelt ihr Zuneigung und Zugehörigkeit vor, damit sie als effizienteste Soldatin des Carlyle-Clans eine wertvolle Schachfigur ist in den Intrigen und Kriegen der Familien, in denen es wie gehabt um Macht geht …
Nach der Lektüre des ersten Bandes von „Lazarus“ kann man sich gar nicht vorstellen, dass Autor Greg Rucka („Gotham Central“, „Star Wars: Imperium in Trümmern“) zeitweise mit dem Gedanken gespielt hat, Forever statt als Lazarus als Zombie zu bezeichnen. Die realistische Variante mit der vorangeschrittenen Forschung auf dem Gebiet induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS-Zellen) ist da wesentlich gefälliger und griffiger. Auch sonst hat Rucka die düstere Zukunft von „Lazarus“ möglichst in der heutigen Realität verankert. Etwa in der Beobachtung, dass das Jahreseinkommen der einhundert reichsten Menschen der Welt 2012 genügt hätte, um die globale Armut gleich vier Mal zu beenden. Es gäbe noch mehr Beispiele für die Kluft zwischen arm und reich, die Ruckas Hintergrund inspirierten und stützen. Doch keine Sorge, „Lazarus“ verstrickt sich niemals darin, ein besorgter politischer Kommentar zu sein. In erster Linie ist Mr. Ruckas Geschichte, die Michael Lark („Gotham Central“, „Daredevil“) gewohnt stimmig visualisiert hat, einfach eine gute Story und gute Science-Fiction. Das detailreich ausgearbeitete dystopische Setting, die brutale Lazarus-Action und die Winkelzüge der Familien ergeben eine packende Mischung, die angesichts derzeitiger Trends einer TV-Serie sicherlich ebenfalls gut zu Gesicht stünde – Rucka und einige Mitstreiter arbeiten deshalb seit geraumer Zeit daran, eine Adaption auf den Weg zu bringen, und die Aufmerksamkeit und das Publikum hätte „Lazarus“ absolut verdient.
Das Vorwort zum ersten Hardcover, in dessen Anhang sich noch einige Einblicke in den Entstehungsprozess finden, stammt übrigens von Warren Ellis, Autor von „Trees“, „Injection“ und „Planetary“ – als ob „Lazarus“ noch einen weiteren Lieblings-Autor an Bord braucht, um aus dem Stand heraus als Lieblings-Comic zu gelten! Fair ist es allerdings, da der britische SF-Experte Ellis seinem amerikanischen Kollegen Rucka in der Konzeptions-Phase von „Lazarus“ mit ein wenig Input zu iPS-Zellen versorgte und Rucka damit auf Kurs fort von den Zombies brachte.
Was Rucka und Lark aus dem und allem anderen gemacht haben, ist bereits im vorliegenden Auftaktband grandios – und wird mit jedem weiteren Kapitel besser. Umso schöner, dass eine der besten neuen Serien, die wir dem anhaltenden Creator-Owned-SF-Comic-Boom in Übersee zu verdanken haben, nun auf Deutsch erscheint, und die Übersetzung von Band zwei ferner schon für März angekündigt ist.
Greg Rucka & Michael Lark: Lazarus Bd. 1 • Splitter, Bielefeld 2015 • 128 Seiten • 19,80 Euro
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