10. Dezember 2021 1 Likes

„Stray Toasters“ von Bill Sienkiewicz

Comic-Kunst voller Serienkiller-Thrill und Science-Fiction

Lesezeit: 3 min.

Anfang der 1980er prägte Bill Sienkiewicz die ersten Comics mit Moon Knight, Marvels nächstem Serienhelden auf Disney+, sowie den jungen New Mutants aus dem Kosmos der X-Men. Während Sienkiewicz noch im selben Jahrzehnt mit Frank Miller bereits an einigen denkwürdigen künstlerisch ziemlich abgefahrenen Geschichten über Daredevil und Elektra zusammenarbeitete, visualisierte er später eine Miniserie zum Horror-Franchise „30 Days of Night“ von Steve Niles. Außerdem steuerte er Storys zu einer preisgekrönten „Sandman“-Anthologie von Neil Gaiman, den Panel-Abenteuern von Michael Chabons Escapist und den „Matrix“-Comics bei. Als Tuscher von Neal Adams, beiden Buscema-Brüdern, Jim Aparo, Denys Cowan und Sean Phillips half Sienkiewicz indes, Panel-Geschichten mit Batman, Question, Wolverine, Black Widow oder Spider-Man zu verwirklichen. Auf eigene Faust inszenierte Sienkiewicz wiederum eine Comicadaption von „Moby Dick“. Daneben illustrierte er Sammelklarten, Plattencover und eine multimediale Würdigung der Legende von Jimi Hendrix. Mit Alan Moore begann er ein höchst ambitioniertes Comicprojekt, das nie über die ersten Kapitel hinauskam. Für seine Design-Arbeit an der Zeichentrickserie „Jagt um die Welt – schnappt Carmen Sandiego“ erhielt er zwei Emmys.

Schon dieser Abriss der Karriere von Bill Sienkiewicz zeigt seine Entwicklung vom zwar durchaus erinnerungswürdigen, letztlich jedoch irgendwo typischen Superhelden-Künstler hin zum vielseitigen, allerhand Disziplinen beherrschenden und reichlich Grenzen überwindenden Künstler. Damit ist nicht bloß gemeint, dass der 1958 geborene Amerikaner innerhalb des Comicmediums ab der zweiten Hälfte der 1980er aus rein grafischer Sicht seitenweise außerordentliche Kunst schuf. Nein, es bedeutet auch, dass er das Kunst in Comickunst wörtlich nahm und viele seiner späteren Bildergeschichten so anging, als wären es Kunstwerke in einem völlig anderen Medium als dem der Panels und Sprechblasen. „Stray Toasters“, das ursprünglich 1988 als vier Hefte umfassende Miniserie bei Marvels innovativem Epic-Imprint erschien und nun als deutschsprachiger Sammelband bei Splitter vorliegt, markiert dabei einen Meilenstein in Sienkiewicz’ Schaffen zwischen Comic und Kunst.

„Stray Toasters“ setzt in der nahen Zukunft ein, in der kaum noch Mädchen geboren werden, und pendelt unentwegt zwischen Science-Fiction, Hardboiled-Krimi, Fantasy, Psycho-Thriller, Drogentraum und Familiendrama. Ein paar der wichtigsten Elemente dieser Story, die von DieZukunft.de-Kollege Bernd Kronsbein ins Deutsche übertragen wurde: Der Ermittler Egon Rustemagik, der einen Robo-Serienkiller jagt. Ein verrückter Wissenschaftler. Kybernetische Kids. Und der Teufel, der inkognito auf Erden urlaubt. Coole Zutaten – einfach zu lesen oder geradeheraus unterhaltsam ist das allerdings nie, weder was die Bilder, noch die Texte anbelangt. Es hilft, wenn man Alan Moore und Grant Morrison an deren verrücktesten Tagen mag. Optisch stellt „Stray Toasters“ ohne Zweifel ein Erlebnis dar. Eine atemberaubend wilde, grelle Tour, bei der Sienkiewicz mit Stilmitteln und Maltechniken nur so um sich wirft – Bleistift und Tusche, Acryl, Ölfarben, Collage. Typografie und Textkastenfarbe tragen zum individuellen Gesamtbild bei. „Stray Toasters“ reiht sich so relativ mühelos zwischen „Batman: Arkham Asylum“ mit Artwork von Dave McKean, „Kid Eternity“ mit Bildern von Duncan Fegredo oder den Arbeiten von Kyle Baker ein, die im selben Zeitraum entstanden.

Das, was in diesem Fall aus Bill Sienkiewicz’ kreativem Toaster kommt, ist dennoch ein schwer verdaulicher Trip. Sienkiewicz hat es natürlich trotzdem allemal verdient, als bahnbrechender Ausnahmekünstler bezeichnet zu werden. Und dass seine zentrale freie Arbeit „Stray Toasters“ nicht alle gewinnen kann, liegt letztlich ja wieder innerhalb der Parameter von echter Kunst.

Abb.: © Bill Sienkiewicz /dt. Ausgabe Splitter Verlag

Bill Sienkiewicz: Stray Toasters • Splitter, Bielefeld 2021 • 224 Seiten • Hardcover: 29,80 Euro

 

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