7. Februar 2021

„Trees“ von Warren Ellis & Jason Howard

Ein genialer Comic über mehr als nur eine Invasion ignoranter Alien-Bäume

Lesezeit: 3 min.

Der Engländer Warren Ellis ist einer der besten und wichtigsten Autoren des modernen Comics und ja, auch der zeitgenössischen Science-Fiction-Literatur. Seine innovativen Panel-Kernwerke um das Gonzo-Cyberpunk-Epos „Transmetropolitan“, die Meta-Genre-Hommage „Planetary“ und die Superhelden-Weiterentwicklung „The Authority“ sind so forschrtittlich und gut, dass man sie bis heute immer wieder lesen kann. Dazu kommen etwas abseitige Perlen wie das postapokalyptische Steampunk-Serial „Freakangels“, die grelle Marvel-Satire „Nextwave: Agents of H.A.T.E.“, die Antihelden-Neudefinition „Moon Knight“ oder die sehr britische Weird-Fiction-Nummer „Injection“. Selbst der wegen eines Computercrashs leider nie vollendete Horror-Krimi „Fell“ ist so ein ewiger Lieblingscomic, der einen wehmütig seufzen lässt.

Im Sommer 2020 erfuhr die Karriere des 1968 geborenen Ellis, die durch neue Batman-Comics bei DC und diverse von ihm mitentwickelte Netflix-Serien (z. B. „Castlevania“) ein weiteres Hoch erreicht hatte, einen selbstverschuldeten Dämpfer und Knick: Erschreckend viele Frauen taten sich zusammen, um Ellis’ Sexualverhalten öffentlich zu machen, bei dem seine Machtposition innerhalb der Comic-Branche eine Rolle gespielt zu haben scheint. Der Guardian hat das alles ziemlich gut und neutral aufgearbeitet, Ellis entschuldigte sich natürlich, sprach von Therapie, verlor angeblich ein paar Projekte und ging erst einmal auf Tauchstation. Es darf aber mit seiner „Rückkehr“ gerechnet werden, wobei es interessant werden dürfte, welcher Verlag sich traut und wie die Dinge dann wieder hochkochen. Es ist also ein etwas ungünstiger Zeitpunkt für den lange herbeigesehnten ersten Band der deutschen Ausgabe von Ellis’ eigenständigem SF-Comic „Trees“, den er im Original schon 2014 zusammen mit Zeichner Jason Howard startete und dessen Adaption als TV-Serie seit einiger Zeit in Arbeit ist.

Dabei verdient „Trees“, das Christian Langhagen für Cross Cult gut übersetzt hat, noch immer alle Aufmerksamkeit. Immerhin ist der Auftakt zur Serie einer der stärksten Comics und – medienübergreifend – SF-Stoffe der letzten Jahre. Ellis und Zeichner Howard („SuperDinosaur“ und „Astounding Wolf-Man“ von Robert Kirkman, zuletzt „Big Girls“ als Künstler und Autor) inszenieren in überzeugender Symbiose aus Story, Worten, Zeichnungen und Farben die Geschichte einer nahen Zukunft, in der außerirdisches Leben auf die Erde gekommen ist. Die zyklopischen (und titelgebenden) Alien-Bäume, die sich überall auf dem blauen Planeten eingepflanzt haben und schweigend in den Himmel ragen, interessieren sich bloß kein bisschen für die Menschen. Zehn Jahre später gibt es weiterhin keinerlei Zeichen für den Wunsch nach Interaktion oder irgendeine Art von Anteilnahme. Die Orte, an denen die Bäume aus dem All auftauchten, haben sich dennoch gravierend verändert: New York City, Sizilien, Rio, Spitzbergen, Somalia, völlig egal. Ellis und Howard beleuchten die langwierigen sowie einige neue Veränderungen. Vor allem die Ereignisse in einer arktischen Forschungsstation und in einer liberalistischen chinesischen Künstlerstadt zeichnen das futuristische Panorama aus, obwohl jede der reihum besuchten Flecken und Figuren ihren Reiz haben, ihren Beitrag zur Geschichte leisten. Am meisten beeindruckt dabei, wie „Trees“ topaktuelle Technik, Feminismus (ja, irgendwie ironisch bei den Geschehnissen um Ellis), Transgender oder faschistischen Opportunismus in Krisenzeiten organisch in die Handlung integriert, während dem gegenüber die kosmische Bedeutungslosigkeit des Menschen im Angesicht außerirdischer Giganten steht, die an H. P. Lovecraft erinnert.

An dieser Stelle soll es zum Schluss nicht subjektiv oder objektiv um die Frage gehen, ob man Warren Ellis noch mit gutem Gewissen als Lieblingsautor bezeichnen und verantworten kann, sondern um den überragenden ersten „Trees“-Sammelband „Ein Feind“. Denn der ist ohne jeden Zweifel große, stark gezeichnete Comic-Erzählkunst und exzellente Science-Fiction. Schade, dass der Schatten, der auf der Serie und ihrem überfälligen Start am deutschen Markt liegt, nicht nur mit den faszinierenden Alien-Baumriesen zu tun hat.

Abb. © 2015, 2020 Warren Ellis & Jason Howard/deutsche Ausgabe bei Cross Cult

Warren Ellis, Jason Howard: Trees Bd. 1: Ein Feind • Cross Cult, Ludwigsburg 2020 • 170 Seiten • Hardcover: 25 Euro

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