11. November 2018 1 Likes

Versehrte Veteranin mit Affe und Aliens

Strangers in der Wüste: Terry Moores „Motor Girl“

Lesezeit: 3 min.

Samantha „Sam“ Locklear, die Protagonistin von Terry Moores neuem Comic „Motor Girl“, diente drei Runden im Irak. Bei ihrem letzten Einsatz wurde sie durch eine Bombenexplosion schwer verletzt und endete in Kriegsgefangenschaft, wo man sie brutal folterte. Seit ihrer Rückkehr in die USA versteckt sich die Veteranin auf einem Autofriedhof in der weiten, heißen Wüste von Nevada. Sams posttraumatische Belastungsstörung äußert sich unter anderem in dem riesigen anthropomorphisierten Gorilla Mike, der ihr in Shorts und Shirts erscheint. Ihr eingebildeter bester Freund und ihre Kopfschmerzen sind allerdings nicht die einzigen Folgen ihrer Erlebnisse im Krieg. Und dann legen auch noch Aliens in einem UFO eine Bruchlandung auf dem Schrottplatz hin, und ein skrupelloser Wissenschaftler rückt mit seiner Wunderwaffe und seinen Söldnern an, von denen nur manche ein Herz für taffe Kriegshelden und tapsige Außerirdische haben …

Der amerikanische Autor und Zeichner Terry Moore schenkte der Comic-Welt die grandiose Panel-Seifenoper „Strangers in Paradise“, einen echten Lieblingscomic, den er zwischen 1993 und 2007 umsetzte. Direkt danach wollte der 1954 geborene Moore „Motor Girl“ angehen, das im selben Terryversum wie all seine eigenständigen Titel spielt und mit der rüstigen Rentnerin Libby – Francises Tante – sogar eine direkte Verbindung zu „Strangers in Paradise“ aufweist. Doch der mit dem Eisner und dem Harvey Award ausgezeichnete Moore, der für andere Verlage „Spider-Man Loves Mary Jane“, „Runaways“ und „Fables“ beackerte, verwirklichte erst seinen Techno-Thriller „Echo“ und den Hexen-Horror in „Rachel Rising“, bevor er sich Sam, Mikey und Co. widmete. Schreiber & Leser präsentiert alle zehn US-Hefte dafür direkt als deutschsprachigen Komplettband mit Pin-Up-Galerie und anderem. Nice!

Die Beziehung zwischen Sam und Mike gewinnt einen sofort als die liebenswerteste Halluzination seit Calvin und Hobbes. Dennoch handhabt Moore den Themenkomplex von Krieg, Veteranen und Psychosen natürlich zugleich auf seriöse, einfühlsame Art und Weise. Die knuffigen Besucher aus dem All wecken indes Erinnerungen an Pog und seine Alien-Crew, die den Sumpf in Alan Moores und Shawn McManus’ berühmter „Swamp Thing“-Story von 1985 aufscheuchten. Zudem warten eine Referenz an „Tim und Struppi“-Schöpfer Hergé sowie Zitate von z. B. Stephen Hawking und Arthur C. Clarke. Man spürt förmlich, wie viel Freude Terry Moore jede detailreiche Schwarz-Weiß-Seite seiner makellos inszenierten Geschichte beim Schreiben und Zeichnen gemacht hat. „Motor Girl“ sieht, wie all seine in Eigenregie und im Eigenverlag herausgebrachten Creator-Owned-Werke, fantastisch aus. Obendrein dient es als weiterer Beweis dafür, dass Moore alles kann: Schräges, Action, Humor, Drama, Herz, Science-Fiction, Horror. Und seien wir ehrlich, in seine kaputten Protagonistinnen muss man sich einfach verknallen, selbst wenn viele seiner Figuren in ihrer visuellen Veranlagung einander serienübergreifend gern ähneln.

Die passende Auflösung von Sams und Mikeys Geschichte gefällt einem mit etwas Abstand wahrscheinlich noch besser als beim ersten Lesen – so oder so ist „Motor Girl“ eine dieser wirklich bezaubernden und begeisternden Bildergeschichten, die einen daran erinnern, wieso man eigentlich Comics liest und liebt.

Abb. © 2018 Terry Moore

Terry Moore: Motor Girl • Schreiber & Leser, Hamburg 2018 • 224 Seiten • Paperback: 24,95 Euro

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