12. März 2018 2 Likes 2

Blumen des Bösen

Alex Garland macht wieder Science-Fiction: „Auslöschung“

Lesezeit: 4 min.

Bei all dem aktuellen PC-Getöse um „representation“, „inclusion riders“ und ähnliche sicherlich wichtige, aber filmästhetisch eher irrelevante Sperenzchen tut es gut, ein aktuelles US-Studioprodukt zu sehen, das seine feministische Agenda (wenn es denn überhaupt eine hat) derart subtil und leise äußert wie Alex Garlands Auslöschung. Lose basierend auf Jeff VanderMeers erstem Band seiner Southern Reach-Trilogie präsentiert Garlands zweites SF-Werk als Regisseur (nach Ex Machina) eine Gruppe von fünf Frauen – vier Wissenschaftlerinnen und eine Sanitäterin –, eine davon afro-, eine latino-amerikanisch, dazu noch lesbisch, und macht daraus kein Manifest. Vor diesem Hintergrund wirkt es völlig absurd, dass man Garland allen Ernstes vorwarf, mit der Besetzung von Natalie Portman in der Hauptrolle eine fiese Form von „whitewashing“ betrieben zu haben, da die im Roman namenlose Protagonistin einen asiatischen Hintergrund hat. Was allerdings erst im zweiten Band der Trilogie enthüllt wird, und Garland kannte laut eigener Aussage nur das erste Buch, nämlich Auslöschung. Das alles müsste man gar nicht erwähnen, wäre dies hier nicht ein besonders gelungenes Beispiel, um zu zeigen, dass jede Geschichte ihr eigenes Personal erschafft und verlangt. Und in VanderMeers zerebralem SF-Meisterstück besteht dieses eben (fast) ausschließlich aus Frauen. Punkt.

Anders als in der literarischen Vorlage bleiben die Damen hier jedoch nicht namenlos, auch ihre persönlichen Vorgeschichten fließen in die Geschichte ein, die in Garlands Version deutlich andere Schwerpunkte bedient als das Buch. Die Prämisse ist jedoch gleich: Ein nicht näher bezeichnetes „Ereignis“ hat ein Stück Land an der amerikanischen Küste in ein mysteriöses Areal mit membranartigen Grenzen verwandelt, die langsam aber stetig in alle Richtungen vorrücken. Expeditionen zur Erforschung dieser geheimnisvollen „Area X“  erbrachten keine nennenswerten Ergebnisse. Nun ist es an der von Portman dargestellten Biologin Lena und ihren Kolleginnen, in den „Shimmer“ (so heißt die Blase, die sich über das Land gelegt hat, in Garlands Filmversion) vorzudringen und die weitere Ausbreitung des Phänomens zu verhindern. Alle fünf sind „damaged goods“, wie eine von ihnen lakonisch konstatiert, und jede hat ihre ganz eigenen Beweggründe für die Teilnahme an der mutmaßlichen Selbstmordmission. In Portmans Fall ist dieser Grund ganz persönlicher Natur, denn ihr Ehemann Kane war ebenfalls im Shimmer unterwegs und kam seltsam verändert zurück – so verändert, dass er nun aufgrund multiplen Organversagens im Sterben liegt. Lenas Ausflug in die Area X ist also nicht nur wissenschaftliche Exkursion, sondern vielmehr eine Reise ins Herz ihrer ganz eigenen Finsternis.

Doch die ist alles andere als dunkel und bedrückend; mag Garland sich motivisch bei Tarkovskis zementartigem Klassiker Stalker bedienen, seine Area X erinnert in ihrer impressionistischen Schönheit eher an den schimmernden lebenden Ozean in Lems Solaris. Es ist eine entrückt verlockende Welt, die auf widernatürliche Art und Weise mutiert – unterschiedliche Spezies haben offenbar untereinander völlig unmögliche Kreuzungen vollzogen, Pflanzen nehmen die Form von Menschen an, Gebäude sind mit farbenfrohen karzinogenen Wucherungen überzogen. Wie durch ein Prisma fällt das Sonnenlicht auf diese fremde und gleichzeitig vertraute Erde, die voller Gefahren steckt. Bald werden ihre ersten mutierten Bewohner zu echten Gefahren für die fünf Frauen, und es beginnt ein existienzieller sowie auch ganz viszeraler Horror.

Garland bedient sich hier geschickt und geschmackvoll in VanderMeers Kuriositäten-Arsenal. Der prinzipiellen Unverfilmbarkeit der Romanvorlage stellt er klassisches amerikanisches Drehbuch-Knowhow entgegen, und das macht er durchaus solide. Mehr aber auch nicht, denn das Buch ist der klar schwächste Aspekt von Auslöschung. Ein bisschen Schema F hier, ein wenig Mutterschaftssymbolik dort und die übliche Psychologisierung, ohne die im amerikanischen Kino leider gar nichts geht. Dazu dann ein schwurbeliger Showdown inklusive vorhersehbarem Twist, und fertig ist der zwar überdurchschnittliche, aber auch immer etwas überbewertete Garland-Stoff – auch zu bewundern in seinen Drehbüchern zu Danny Boyles Sunshine oder The Beach. Wie schon Ex Machina ist Auslöschung lange nicht so klug, wie er gerne wäre. Da ist Garland als zeitgenössischer SF-Macher dann doch von wirklichen Experten sie Shane Carruth ziemlich weit entfernt. Dass seine aktuelle Produktion trotzdem sehenswert ist, liegt an seinem Gespür für Atmosphäre, dem extrem unaufgeregten Rhythmus, dem großartigen Produktionsdesign und vor allem der Sound- und Musikarchitektur von Geoff Barrow und Ben Salisbury. Jenseits gängiger SF-Standards erschaffen all diese Stilmittel in der Tat eine fremde Welt, die man in dieser Form noch nicht gesehen und gehört hat. Verstörend und unwiderstehlich zugleich zieht diese Area X den Zuschauer in ihren Bann und lässt sogar Natalie Portmans patentiertes Overacting oft vergessen. Auch das Creature Design und die Special Effects in einigen wohl dosiert eingesetzten Horrorpassagen machen Spaß und sind genuin creepy.

Am Ende ist Auslöschung ein ordentlich Stück Science-Fiction mit Abzügen in der Drehbuch-Note. Eine werkgetreue Adaption des VanderMeer-Stoffes war nicht zu erwarten, klar. Aber man wünscht sich doch, dass die eine oder andere kreative Volte des knappen Romans Eingang in die Filmversion gefunden hätte. Dann wäre Auslöschung eventuell mehr geworden als ein weiterer Hochglanz-Trip in die lauwarme SF-Welt des Alex Garland.

Auslöschung ist seit dem 12. März auf Netflix zu sehen.

Auslöschung • USA 2018 • Regie: Alex Garland • Darsteller: Natalie Portman, Oscar Isaac, Jennifer Jason Leigh, Gina Rodriguez, Tessa Thompson, Benedict Wong

Kommentare

Bild des Benutzers Peter Böllinger

guten tag,

im Gegensatz zur letzten Alien Katastrophe,zu Star Wars sowieso, oder Altered Carbon und The Expanse ist die SF Welt des Alex Garland alles andere als lauwarm. Er nimmt seine Stoffe ernst und macht sie sogar für Leute interessant, die von 2001 bis Plan 9 alles kennen. Ausserdem heisst James Jeff.

Jetzt zur Lobhudelei: diese seite klicke ich immer als erste an, weil sie immer informativ ist.

grüsse

Peter Böllinger

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Ich habe inzwischen auch "Auslöschung" gesehen und muss sagen: anders, als ich erwartet hatte. Mir fast einen Tick zu über-vereinfacht, aber insgesamt sehr stimmungsvoll und mit coolen Effekten. Hat mir gut gefallen.

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