26. Oktober 2016

Break on Through

„Doctor Strange“ ist spirituell, bildgewaltig und psychedelisch

Lesezeit: 3 min.

Das hätte man nun nicht erwartet: Das ausgerechnet der familienfreundliche, erzkonservative Disney-Konzern einen Film produziert, der von psychedelischen Bilderwelten geprägt ist, wie man sie im Kino selten sieht, erst recht nicht im Mainstream-Kino. Schon der kurze Prolog von „Doctor Strange“ ist visuell origineller als so ziemlich alles, was man bislang im MCU zu sehen bekam: Da kämpft Mads Mikkelsen als abtrünniger Schüler Kaecilius gegen seine ehemalige Lehrerin, die Älteste (umstrittenerweise aber höchst passend nicht von einem asiatischen Mann, sondern von Tilda Swinton gespielt) auf den Häusern von New York, die sich in bester „Inception“-Manier auftürmen, allerdings mit einer gehörigen Prise M.C. Escher-Surrealismus. Das sieht zwar in Momenten sehr nach Computerspiel aus, doch bemerkenswerterweise wird sich dieser dennoch tolle visuelle Moment später geradezu als optischer Tiefpunkt des Films erweisen.

Nach diesem Prolog, der eine ganze Weile als loses Versprechen im Raum steht, arbeitet sich Regisseur Scott Derrickson flott und pragmatisch an der Originstory des Dr. Strange ab: Als wäre er direkt vom letzten Sherlock-Dreh rübergekommen, gibt Benedict Cumberbatch den Neurologen Stephen Strange als brillantes, selbstgefälliges Arschloch, der auch dann nicht eine Spur von Demut verspürt, als er nach einem Autounfall die Kontrolle über seine Hände verliert. Erst eine Reise ins ferne Tibet verspricht Heilung: Doch was ihn im Tempel der Ältesten erwartet, ist nicht von dieser Welt – im wahrsten Sinne des Wortes. Zeit und Raum lösen sich in einem Bildgewitter auf, wie es psychedelischer nicht sein könnte, Materie erweist sich als ebenso relativ wie das Verhältnis von Körper und Geist.

Zeit ist das Thema, „Zeit ist der Feind“, wie es Kaecilius bald formuliert, als er den langsam erwachenden, seine besonderen Fähigkeiten erkennenden Dr. Strange dazu überreden will, ihm auf die dunkle Seite zu folgen. In einer anderen Dimension wartet der Dämon Dormammu auf seine Befreiung, auf einen Weg in das menschliche Universum. Doch keine Sorge: Zumindest dieses eine Mal endet ein Marvel, bzw. fairerweise ein moderner Blockbuster, nicht mit einer ausufernden Prügelei zwischen Guten und Bösen. Dieses eine Mal haben die Tricktechniker ihre Fähigkeiten und die Möglichkeiten moderner Computertechnik dazu genutzt, um Actionszenen von überwältigenden Wucht und Originalität zu kreieren.

Zur besonderen Qualität von „Doctor Strange“ trägt fraglos auch bei, dass bis zur Post-Credit-Sequenz keine schon bekannte Figur auftaucht, die Handlung nicht in ein zig Filme überspannendes Gerüst hineingepresst werden muss, sondern nicht mehr als eine stringente Origin-Story erzählt wird. Die dennoch auf überraschende Weise komplex ist, sich sowohl bei Elementen spritueller Bewusstseinserweiterung bedient, aber auch Bezüge zu den postulierten Multiversen der Stringtheorie macht. Und wie sehr sich die Macher bewusst waren, einen Film zu drehen, der sich in psychedelischer Gedanken- und Bilderwelten begibt, verrät das Buch, das der beseelt kichernde Stan Lee bei seinem Cameoauftritt liest: Aldous Huxleys „The Doors of Perception.“

„Doctor Strange“ startet am 27. Oktober im Kino. Abb. © Marvel/Disney

Doctor Strange • USA 2016 • Regie: Scott Derrickson • Darsteller: Benedict Cumberbatch, Tilda Swinton, Mads Mikkelsen, Rachel McAdams, Chiwetel Ejiofor

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