20. Dezember 2023

„Carol & The End of The World“ auf Netflix

In der Ruhe liegt der Weltuntergang

Lesezeit: 3 min.

Es gibt Nachrichten, denen kann niemand entkommen. Beispiel gefällig? Wie wäre es mit dieser: In 7 Monaten und 13 Tagen geht die Welt unter! Wer den Meldungen der Medien nicht glauben mag, muss nur in den Himmel schauen. Der Planet Keppler 9c nähert sich der Erde – und wird unweigerlich mit ihr kollidieren. Doch was fängt man mit der restlichen Lebenszeit an?

Manche Fragen sind vermutlich genauso alt wie die Menschheit selbst. In nahezu jeder Kultur dürften sich Menschen Gedanken über das Weltende gemacht haben – und darüber, was dann zu tun wäre. In seiner zehnteiligen Animationsserie „Carol & The End of The World“ geht Dan Guterman („Community“, „Rick & Morty“) dem Schicksal eines bunt zusammengewürfelten Haufens sympathischer Charaktere nach, die versuchen mit dem Unausweichlichen klarzukommen.

Im Mittelpunkt: die 42-jährige Carol Kohl (Martha Kelly), kinderlos, beziehungslos, arbeitslos. Die graue Maus in ihrer Strickjacke wäre die perfekte Kandidatin für eine klassische Midlifecrisis, würden diese nicht gerade alle Erdlinge durchmachen. Kein Wunder, dass der Therapeut gar nicht mehr ans Telefon geht. Kurzum: Carol hat keine Ahnung, was sie mit ihrem verbleibenden Leben anfangen soll. Ganz anders als ihre Umgebung: Die einen feiern die längste Party der Welt, die anderen arbeiten ihre Bucket-Liste ab, die nächsten wiederum sind rund um die Uhr nackt – und manche kombinieren alles zusammen.

Vielleicht könnte Carol all das ignorieren. Doch ausgerechnet ihre Familie schließt sich dem Weltuntergangsreigen an. Während ihre ältere Schwester Elena (Bridget Everett) auf große Tour geht und VHS-Kassetten ihrer Abenteuer nach Hause schickt, zieht es ihre nackt lebenden Eltern Pauline (Beth Grant) und Bernard (Lawrence Pressman) auf eine Kreuzfahrt rund um den Globus. Mit dabei: Bernards junger afroamerikanischer Pfleger Michael (Delbert Hunt), der mit ihnen in einer Ménage-à-trois lebt.

Klingt bereits abgedreht? Keine Sorge, es wird noch verrückter – und zutiefst philosophisch. Gutermans episodische Erzählungen machen von Anfang an deutlich: Das Schlimmste am Weltuntergang ist gar nicht das Ende an sich, sondern die Erwartungen der Mitmenschen. Die zurückhaltende Carol passt in keine der Schubladen, in die sie geschoben werden soll: Sie möchte weder nach Tibet reisen, noch einen Fallschirmsprung wagen oder mit dem alleinerziehenden Eric (Michael Chernus) nach einem One-Night-Stand eine Beziehung eingehen.

Carol gehört zu denjenigen, die im Alltag eines brauchen: Routine. Die findet sie durch Zufall in einem verlassenen Bürogebäude. Im 19. Stock des Hauptsitzes von Golden Harvest Foods läuft die Buchhaltung auf Hochtouren. Marketing und Verkauf? Braucht kein Mensch mehr! Ehe sich Carol versieht, wird sie von der HR Dame (Laurie Metcalf) engagiert. Tag für Tag verbringt Carol in der Anonymität des Großraumbüros. Als sie sich mit der Afroamerikanerin Donna (Kimberly Hébert Gregory) und dem homosexuellen Luis (Mel Rodriguez) anfreundet, beginnt ein neuer Wind durch das Stockwerk zu wehen.

Carol & The End of The World“ ist eine etwas andere Animationsserie vom Weltuntergang. Ruhig und mit viel Humor stellt sie die Frage, wie wir unsere letzten Tage verbringen möchten und was wir bereuen. Sie ist aber auch die Geschichte einer unscheinbaren, sympathischen Frau, die durch ihre Art den Gegenpol zu Keppler 9c bildet – und in deren Gravitationsfeld die Menschlichkeit langsam wieder aufblüht.

Carol & The End of The World • USA 2023 • Nach einer Idee von: Dan Guterman • Regie: Erica Hayes, Mollie Helms und Bert Youn • Sprecher:innen: Martha Kelly, Kimberly Hébert Gregory, Mel Rodriguez, Michael Chernus, Beth Grant, Lawrence Pressman, Delbert Hunt • Freigegeben ab 16 Jahren • Seit 15. Dezember auf Netflix

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