Doomsday-Paranoia
„Take Shelter“ von Jeff Nichols
Ein Mann und seine Apokalypse: Curtis LaForche hat Visionen. Zunächst ist es nur ein dumpfes Grollen am Horizont. Doch nach und nach entwickeln sich die Dinge, die der Bauarbeiter und Familienvater sieht, zu einem drohenden Unwetter biblischen Ausmaßes. Geplagt von Halluzinationen, Albträumen und affektiven Störungen, in deren Mittelpunkt die unmittelbare Gefährdung seiner Familie steht, und angesichts der familiären Historie psychischer Erkrankungen – seine Mutter leidet an Schizophrenie –, sucht er ärztliche Hilfe. Doch die ist gar nicht so leicht zu bekommen, denn das Geld ist knapp und psychiatrische Kompetenz teuer. Also steigert sich der geplagte Mann weiter in seinen Wahn und beginnt, hinter dem Haus einen Schutzbunker anzulegen. Eine Aktion, die finanzielle Ressourcen verschlingt, welche die Familie nicht hat, und die schließlich sogar zum Verlust seines Jobs führt – eine Katastrophe, an der wiederum die aussichtsreiche Operation der taubstummen Tochter scheitert. So stürzt der zunehmend erratischer handelnde Mann im Bestreben, seine Familie vor einem halluzinierten Sturm zu retten, seine Liebsten in den ganz realen Abgrund des wirtschaftlichen Ruins.
Mit seinem zweiten Film gelingt Regisseur und Autor Jeff Nichols ein beeindruckendes Kitchen-Sink-Drama, das Themen wie Schizophrenie, Mittelklasse-Angst, brüchigen familiären Zusammenhalt und zunehmend prekäre Lebensverhältnisse mit genuin filmischen und ganz und gar unessayistischen Mitteln verbindet – und dabei auch nicht vor Suspense- und Horror-Elementen zurückschreckt, wenn es darum geht, Curtis’ Halluzinationen darzustellen. Ein gänzlich unaufgeregter Stil dominiert den Film: Der langsame Schnitt und der sparsam eingesetzte Score erzeugen einen träumerischen Rhythmus, der dem Naturalismus der gezeigten Welt beinahe mystische Untertöne verleiht. Eine Kombination, die die Intentionen des Regisseurs verdeutlicht, denn der drohende Sturm ist sowohl ganz subjektive Manifestation mentaler Krankheit als auch objektive Metapher für die Bedrohung der amerikanischen »99%« durch ökonomische Verwerfungen und ideologische Vakuen (auch die wiederholt erwähnte Kirche bietet in Zeiten der Krise keinen wirklichen Halt mehr).
Dass das alles so wunderbar funktioniert, liegt nicht zuletzt auch am grandiosen Spiel der Hauptdarsteller: Jessica Chastain verkörpert die geplagte Ehefrau porzellanhäutig und mit nuanciertem Wechselspiel aus zunehmender Verwirrung und dem Furor der Verzweiflung, während Michael Shannon das langsame Abrutschen in die Psychose zunächst beeindruckend zurückhaltend spielt, dann aber in einer wirklich beängstigenden Szene das explosive, froschäugige Glühen des wahnsinnigen Propheten entfesselt. Das ist große Kunst, die in keiner Sekunde unangemessen wirkt, sondern sich immer in den Dienst des Stoffes stellt.
Ein Stoff, der auch schnell in Shyamalan’sche Effekthascherei hätte abdriften können, doch dafür nimmt Nichols seine Figuren und seine Themen zu ernst. Und das ist auch gut so, denn ein derart pointiertes, figurenbezogenes und sensibles filmisches Statement zur Lage der Nation hat man im amerikanischen Kino lange nicht zu sehen bekommen.
Take Shelter • USA 2011 · Regie: Jeff Nichols · Darsteller: Michael Shannon, Jessica Chastain, Katy Mixon, Shea Whigham, Kathy Baker
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