„Die wandernde Erde 2“ – Rettung aus dem Osten
Ein chinesischer Blockbuster nach Cixin Liu
Kaum bemerkt vom Rest der Welt hat sich China in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Kinomärkte entwickelt. Ein Markt, der sich dank gut 1,4 Milliarden Einwohnern selbst genügt und es erlaubt, derart aufwändige Blockbuster zu drehen, wie es abgesehen von den USA kein anderes Land der Welt wagen kann. Zu diesen neuen chinesischen Mega-Filmen zählt auch „Die wandernde Erde 2“, der tatsächlich einen kleinen deutschen Kinostart erhält, was vielleicht der Beginn eines Wandels in der Wahrnehmung darstellt, ein Verschieben des Blickes von West nach Ost.
Etwas polemisch könnte man formulieren: Wessen Propaganda wollen wir sehen? Die aus Hollywood, der wir in den letzten einhundert Jahren gefolgt sind oder einer neuen, einer, bei der nicht Amerikaner die Welt retten, sondern Chinesen? Denn ein interessanter Aspekt des von Frant Gwo inszenierten Weltuntergangsszenarios ist die Ähnlichkeit zu vergleichbaren Filmen aus Hollywood, nur eben mit ausgetauschten Ethnien.
Auch wenn „Die wandernde Erde 2“ eine Fortsetzung zu sein scheint, ist es nicht nötig, den ersten Teil zu kennen, der im Westen noch bei Netflix versendet wurde. Auf einer Kurzgeschichte des chinesischen Star-Autors Liu Cixin (im Shop) (dessen Welterfolg „Die Drei Sonnen“ demnächst bei Netflix eine Serien-Adaption erfährt) basiert die Geschichte, die von einer fernen Zukunft erzählt, in der die Erde durch Umweltkatastrophen und eine expandierende Sonne in ihrer Existenz bedroht ist. Die Lösung sieht vor, die gesamte Erde mit Hilfe von gigantischen Raumschiffen in ein anderes Sonnensystem zu transportieren, eine Aktion, die im ersten Teil fast an der Anziehungskraft des Jupiters scheiterte.
Die Fortsetzung erzählt nun eine Art Vorgeschichte, beginnt mit fast identischen Bildern, in denen die Bemühungen der Menschheit gezeigt wird, eine gigantische Rettungsaktion zu starten. Die in diesem Fall – und hier wird es ideologisch interessant – von chinesischen Wissenschaftlern und Politikern angeführt wird. Sind es in vergleichbaren Hollywood-Filmen stets Amerikaner, denen, je nachdem wie progressiv der Film wirken möchte, vielleicht noch eine internationale Crew zur Seite steht, sind es hier Chinesen, die die Welt retten. Und dafür von Menschen auf aller Welt bejubelt werden, in typischen Montagesequenzen, in der Bewohner aus aller Welt mit offenen Augen zum Himmel, wo die Gefahr lauert, blicken, oder im Kreis ihrer Lieben auf Fernseher schauen, wo gerade die Mitteilung von der Rettung der Welt verbreitet wird.
Und auch in anderer Hinsicht kann dieser chinesische Blockbuster mit den amerikanischen Vorbildern mithalten: Leider in seiner exorbitanten Lauflänge von fast drei Stunden, vor allem aber in wahrlich atemberaubenden Spezialeffekten, die sich keineswegs vor den Vorbildern verstecken muss. Sagenhafte 165 Millionen Dollar soll dieses Spektakel gekostet habe, was eines der höchsten Budgets sein dürfte, die jemals außerhalb Hollywoods verpulvert wurde. Doch der Erfolg gibt den Machern recht: Der am Tag des chinesischen Neujahrs (dem wichtigsten Datum für Kinostarts in China) gestartete Film spielte knapp über 600 Millionen Dollar ein und ist damit der weltweit achterfolgreichste Film des Jahres. Wohlgemerkt im Vergleich mit US-Filmen, die in aller Welt liefen, während dieser und andere chinesische Filme praktisch nur in ihrer Heimat zu sehen sind.
Sollte sich das westliche Publikum in den nächsten Jahren daran gewöhnen, dass die Helden von Action- oder Science-Fiction-Abenteuern auch aus anderen Weltregionen kommen können, steht dem globalen Erfolg von chinesischen Blockbustern nichts mehr im Wege. Und warum auch nicht, viel zu lange hat sich die Wahrnehmung des Westens vor allem um sich selbst gedreht, wurde der Rest der Welt in erster Linie als Spielball für die eigenen Interessen betrachtet. „Die wandernde Erde 2“ zeigt nun auf stilistisch eindrucksvolle Weise, dass die Welt auch von Anderen gerettet werden kann.
Die wandernde Erde 2 • Liu lang di qiu 2 • China 2023 • Regie: Frant Gwo • Darsteller: Wu Jing, Andy Lau, Li Xuejian • Kinostart: 21.12.2024
Kommentare