6. März 2015 2 Likes

Ein ganzer Kerl

Kann Neill Blomkamp es noch? In „Chappie“ kommt die Antwort von Die Antwoord.

Lesezeit: 5 min.

Der südafrikanische Regisseur Neill Blomkamp vollzog die Shyamalan-Entwicklung noch schneller als M. Night selbst. Während der Schöpfer von „The Sixth Sense“ nach seinem großartigen Debüt noch eine Reihe weiterer zumindest sehenswerter Filme in die Kinos brachte, fiel er bei der Kritik kontinuierlich in Ungnade, als sein Werk immer erratischer wurde. Auch Blomkamps Erstling „District 9“ schlug bei Presse und Publikum wie eine Bombe ein, wurde 2010 sogar für den Oscar als bester Film nominiert – für ein SF-Debüt gleich doppelt bemerkenswert – doch der mit großer Spannung erwartete Nachfolger „Elysium“ kam nicht an, floppte künstlerisch und kommerziell und enttäuschte alle Erwartungen auf ganzer Linie. Von One-Hit-Wonder war zu lesen, von schöpferischem Burnout, von kreativem Ausverkauf im Angesicht der lockenden Studio-Millionen. Blomkamp selbst gab öffentlich zu, „es verkackt“ zu haben. Insofern ist sein neuer Big-Budget-Versuch „Chappie“ nun ein weiterer Fall für das Hollywood-Gericht: Hat der Mann bereits alles gesagt oder kommt da noch was?

Soviel vorweg: Die ganze Hysterie ist natürlich vollkommen überzogen, denn im gleichen Maß, wie „District 9“ in der Rückschau etwas überbewertet wurde, war „Elysium“ keinesfalls der große filmische Auffahrunfall, als der er vor dem Hintergrund der immensen Fallhöhe immer noch gesehen wird. Vielmehr sind beides ordentliche Genre-Stücke, die – mal mehr, mal weniger – vor allem durch außerordentlich kohärentes Produktionsdesign, das erfrischend ungewöhnliche südafrikanische Setting, soziale Relevanz und guten Schnitt überzeugen. All diese Qualitäten finden sich auch in „Chappie“ wieder, der nicht ganz zu Unrecht allerorts als Crossover aus „Robocop“ und „Nummer fünf lebt“ eingeordnet wird. Und natürlich greift diese bequeme Klassifizierung zu kurz. Zwar liegt sie nahe – schließlich geht es hier um einen seelenlosen Polizeiroboter, der ein Bewusstsein entwickelt und wie ein kleines Kind die Welt um sich herum entdeckt, Freunden und Feinden begegnet, eben zu leben beginnt. Doch das ist letzlich nur der ganz dünne Boden, auf den Blomkamp einen eklektischen Belag pfeffert, der sich gewaschen hat. Sicherlich könnte man hier eine ganze Traditionslinie der Science-Fiction noch einmal aufrollen, in deren Nachfolge sich „Chappie“ einzuordnen hat, Asimov, Clarke, Kubrick, Roddenberry usw. Um dann zu dem Ergebnis zu gelangen, dass „Chappie“ als Erweckungsgeschichte, als Éducation sentimentale und Entwicklungsroman vorne und hinten nicht funktioniert. Denn dafür ist dieser ballerige Big-Budget-Mix narrativ einfach viel zu stumpf und erstickt seine großen Themen in hundsmiserablen Dialogen, inkohärenten Motivationen und unfassbar wild oszillierendem Tonfall. Wenn „Chappie“ wirklich irgendetwas über das Wesen der selbstbewussten Existenz und die Natur des Menschseins sagen will, dann ist das tragisch. Denn auf dieser Ebene versagt er völlig.

Und dennoch – oder vielleicht genau deshalb – muss man das hier gesehen haben, um es zu glauben. Denn seinen großen Reiz bezieht dieses von der Presse als Make-or-Break-Film proklamierte Machwerk aus anderen Quellen. Während im aktuellen Big-Budget-Superheldenkino und Universe-Building der großen Studios irgendwie geartete persönliche Handschriften von Regisseuren mittlerweile zu reinen Lippenbekenntnissen verkommen – glaubt wirklich jemand, es macht einen Unterschied, ob nun Joss Whedon oder irgendein anderer kompetenter Logistikexperte die Avengers durch die Welt jagt? – ist „Chappie“ reinstes Autorenkino der viszeralsten Art. Hier macht jemand genau das, was er will. Und das bedeutet in Blomkamps Fall: Er mischt Melancholie und Machismo wie es ihm passt, zeigt seinen Kindroboter als buchstäbliches Roboterkind, stellt offensiv und exhibitionistisch die Studiomillionen zur Schau, sprengt zwischendurch alles in die Luft, oszilliert wild zwischen „Da Ali G Show“, Soap-Melodram und Verhoeven-Gore, verquirlt kindisch-lachhafte Satire, SF-Bodyhorror, philosophische Kontemplation, Trash-TV und Cyberpunk mit den technischen Mitteln des perfekten Effektkinos zu einem Mix, in dem sogar arrivierte Hollywood-Größen wie Sigourney Weaver und Hugh Jackman (mit absolut geilem Asi-Mullet) zu Statisten werden.

Und das ist angesichts zunehmender Erstarrung des Mainstream in Großbudget-Formelhaftigkeit unheimlich erfrischend. Denn es ist schier unglaublich, womit Blomkamp hier durchkommt. Zwar sind genannte Blockbuster-Nasen durchaus vorhanden und auch irgendwie präsent, doch die wirklichen Stars sind neben dem von Blomkamp-Muse Sharlto Copley per Motion Capture zum Leben erweckten Chappie die beiden Elektropunk-Raverap-Popstars Ninja und Yo-Landi Visser der südafrikanischen Band Die Antwoord. Als überdrehte Ersatzeltern des quasi neu geborenen Roboterbabys bilden sie zusammen mit Compagnon José Pablo Cantillo die räudige Jo-Burg-Variante der Familie Flodder. Afrikaans trifft auf niederländisches Proletentum, die New Kids Turbo zelebrieren einen völlig realitätsfremden, zähnefletschenden Gangsterkult, gegen den Sacha Baron Cohen mit seinem West Staines Massive unbeholfen wirkt. Zwar gibt es auch noch einen „Schöpfer“ – Dev Patel spielt den Programmierer Deon als schwitzendes moralisches Gewissen des Ganzen – sowie einen schnurrbartzwirbelnden Antagonisten mit pathologischem Zerstörungswillen, doch den Kern von „Chappie“ macht erstaunlicherweise die Beziehung des tragischen Tin Man zu seinen abgefahrenen Adoptiveltern aus.

Hier liegt auch der Schlüssel zum Verständnis dieser großen filmischen Punkplatte – als große Fans von „District 9“ wurden Ninja & Co. nun selbst Teil des Blomkamp-Universums, bringen ihre Musik nicht nur auf den Soundtrack sondern auch ihre Band ganz direkt in die diegetische Welt des Films, tragen T-Shirts ihrer selbst und bemühen sich gar nicht erst, dem abgeklärten, muffig-professionellen Spiel der sie umgebenden Hollywoodstars etwas Entsprechendes entgegen zu halten. Und genau so muss man „Chappie“ sehen – als cinematisches Pendant zum infantilen Eklektizismus seiner primären Stars. Der donnernde Zimmer-Score springt zwischen sakralem „Interstellar“-Pathos,  pulsierender „Dark Knight“-Percussion und flirrender „Inception“-Elektronik hin und her wie es ihm gefällt, der Roboter rappt, am Ende findet ein menschliches Bewusstsein per Upload ein neues Zuhause. Klingt seltsam und ist es auch, doch es wäre falsch, Blomkamp reine Beliebigkeit vorzuwerfen. Denn bei aller Varianz finden sich auch in „Chappie“ wieder zahlreiche inhaltliche wie formale Elemente seiner beiden Vorgänger, der actionreiche Showdown kopiert die finale Auseinandersetzung aus „District 9“ fast einstellungsgenau und vor allem das Produktionsdesign wird immer mehr zum konstitutiven Faktor des Blomkamp-Stils. Damit zieht es den Regisseur zunehmend in die Nähe von Künstlern wie Rothko, Bukowski oder ZZ Top, er zeigt minimale Varianz mit maximalem Effekt, bleibt ganz bei sich und seinen Gestaltungsmitteln. Ein echter Autor eben.

„Chappie“ ist gewiss nicht das, was die Leute sehen wollten – es gibt hier kaum philosophische Nachtgedanken zum Thema Künstliche Intelligenz, keine unbeschwerte Niedlicher-Roboter-Comedy, kein „District 9“-Revival, keine massenkompatible Wiedergutmachung für die vermeintliche Totalkatastrophe von „Elysium“. All das kann man diesem Film auch jenseits der wirklich großen Erwartungen vorwerfen – denn irgendwie versucht er ja doch, etwas auszusagen, doch die ganz offensichtlich aufrichtig gemeinten Versuche von unironischem Melodram gehen im staubigen Getöse unter. Aber spätestens, wenn am Ende der orangefarbene Zweit-Roboter mit der Stimme von Dev Patel spricht, Goldzahn Ninja ein Shirt seiner Sangeskollegin Yo-Landa trägt und zwei Metallhasen zusammen in den südafrikanischen Sonnenuntergang hüpfen, wird klar: Das ist wahrscheinlich große Kunst. Chapeu, Chappie.

Next Stop: „Alien“. Au weia.

„Chappie“ ist seit dem 5. März im Kino zu sehen.

Chappie (MEX/USA 2015) • Regie: Neill Blomkamp • Darsteller: Sharlto Copley, Dev Patel, Hugh Jackman, Sigourney Weaver, Ninja, Yo-Landa Visser

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