„Mars Express“ – Maschinen und wir
Sci-Fi-Noir, der zu Herzen geht
Als Android Carlos Riva, der einst als Mensch ein Aggressionsproblem hatte, das ihn immer noch verfolgt, seine Ex-Frau Carol besuchen will, um die Beziehung zu seiner Tochter zu verbessern, was seine Ex nicht gerade begeistert, taucht plötzlich Carols neuer Partner Phillipe auf, weswegen Rivera sich zurückzieht. In einer kurzen Szene sieht man, während er sich vom Haus wegbewegt, sein verloren wirkendes Gesicht in der Großaufnahme – der Umriss seiner Ex, von Phillip umarmt, scheint durch. Momente wie diese brennen sich ins Gedächtnis ein und machen „Mars Express“ groß. Und eher weniger die Geschichte.
Die geht so: Im Jahr 2200 verschwindet in der Mars-Hauptstadt Noctis eine Robotikstudentin. Privatdetektivin Aline Ruby und Rivera kriegen den Auftrag die junge Frau ausfindig zu machen, was erwartungsgemäß mit Komplikationen verbunden ist – auch weil Roboter anfangen, ihre Programmierung zu überwinden (hier wird Bezug auf die Robotergesetze von Isaac Asimov – im Shop – genommen), sich gegen die Menschen aufzulehnen …
Ein Debüt von Jérémie Périn, das im Grunde nichts Neues erzählt und sich quer durch die Science-Fiction-Geschichte plündert: Von „Ghost in the Shell“ über „Terminator“ bis hin zu “Æon Flux“. „Mars Express“ ist ein mit Referenzen gespickter Film, der stellenweise etwas arg plump von der Leinwand winkt, etwa mit Figurennamen wie Roberta Williams (ehemalige Starprogrammiererin bei der Kult-Spieleschmiede Sierra On-Line) oder einer Huelsbeck-Straße (Nachname eines vor allem aus der Amiga-500-Ära bekannten Komponisten von Soundtracks) – eigentlich genau die Art von Hommage-Film wie man ihn seit Jahrzehnten von Kellerkindern vorgesetzt bekommt.
Das Besondere in diesem Fall: Périn schafft es dennoch tatsächlich etwas Eigenes daraus zu machen und fächert in unheimlich dicht gewebten 85 Minuten eine fantastisch aussehende, sich optisch irgendwo zwischen Ligne Claire und Anime bewegende Welt mit etlichen Details auf, die sich angenehm von den handelsüblichen, dreckigen „Die-Welt-ist-sowas-von-am-Arsch“-Szenarien abhebt, hell und freundlich, fast pastellfarben, daherkommt und jederzeit glaubwürdig ist: Alle Weiterentwicklungen wirken schlüssig, es wird nie zu abstrus. Eine Zukunft zum Greifen nah.
Genauso: Die von einem tollen Elektro-Score untermalte (wobei das eigentlich nicht extra erwähnt werden muss, wenn die Franzosen was können, dann das) Geschichte wandelt zwar auf sehr klassischen Film-Noir-Pfaden – natürlich hat Ermittlerin Ruby ein Alkoholproblem, natürlich lauert hinter der hübschen Fassade der Stadt ein Abgrund –, fesselt aber dank einer gut austarierten Mischung aus Ermittlungsarbeit, Action und kleinen intimen Momenten wie dem eingangs erwähnten oder Szenen, die sich um Rubys fatale Liebe zum Alkohol drehen. Und führt zu einem Finale, das dankenswerterweise keinen großen Twist hervorzaubert, sondern schlicht und einfach schlüssig ist und erstaunlicherweise weitaus mehr zu Herzen geht, als man erwartet. Dabei verkneift sich „Mars Express“ staatstragende Grübeleien zu seinem Kernthema künstliche Intelligenz, vieles wird beiläufig angesprochen. Périn behält seine Story oder vielmehr den ungemein natürlich wirkenden Fluss seiner sich realistisch anfühlenden Geschichte jederzeit im Auge und das führt dazu, dass man am Ende zwar keinen großen Erkenntniswert mitnimmt, dafür aber tatsächlich aus einer möglichen Zukunft zurückkehrt.
Marx Express • Frankreich 2023 • Regie: Jérémie Périn • Ab 25. April 2024 im Kino
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