Der streamende Killerbot bald zum Streamen auf Apple+
Der neue Killerbot-Roman „Systemkollaps“ von Martha Wells & die Multimedia-Perspektive der Serie
Die amerikanische Autorin Martha Wells (im Shop) ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie schriftstellerische Karrieren verlaufen können. 1993 veröffentlichte Wells im Alter von 29 Jahren ihren ersten Fantasy-Roman. In der fantastisch-literarischen Szene war sie danach immer präsent, immer ein Begriff – ihr drittes Buch, der Science-Fiction-Roman „Necromancer“ aus ihrer Welt Ile-Riens, wurde bereits 1998 für den Nebula Award nominiert. In den nächsten Dekaden schrieb sie rund zwanzig Fiction-Bücher, darunter Tie-Ins zu „Star Wars“ (im Shop) und „Stargate“, eine Handvoll Sachbücher. Dennoch dauerte es letztlich bis zum Jahr 2017, ehe Wells das gelang, was man gemeinhin als kommerziell richtig großen Wurf bezeichnet. Wobei es da natürlich meistens weniger um schreiberisches Talent oder so etwas wie literarische Güte geht, und vielmehr um Verbreitung und Reichweite, die schnöde Quantifizierbarkeit aller Kunst.
In Martha Wells’ Fall hieß das, aus einem schwierigen Tal in ihrer Karriere heraus mit 53 Jahren eine Science-Fiction-Novelle auf dem Verlagsportal Tor.com zu veröffentlichen, wo regelmäßig Erzählungen namhafter Autorinnen und Autoren gratis online gestellt werden. Kurzprosa zur Rettung einer Schreibkarriere? Aber ja. Wells schickte im Mai 2017 „All Systems Red“ ins Rennen, die erste SF-Novelle ihrer „Murderbot Diaries“, also der „Tagebücher eines Killerbots“.
Protagonist und Ich-Erzähler ist ein von allen einprogrammierten Fesseln befreiter, menschenähnlicher SecurityUnit-Androide mit allerhand misanthropischen Neurosen und einem Sinn für Sarkasmus, nicht allzu versessen auf dämliche biologische Schutzbefohlene oder nervige Schiffscomputer, dafür verrückt nach dem Binge-Watching von Fernsehserien über den Waldmond – und dank Hacking-Skills, Spähdrohnen und Plasmawerfern in jedem Gefecht eine ziemliche Wucht, ob auf lebensfeindlichen Planeten oder feindverseuchten Raumhäfen. Eine irre sympathische Hauptfigur, die in unterhaltsamen Military-SF-Geschichten über das kolonialisierte Weltall ihre hinderliche Empathie entdeckt.
„All Systems Red“ wurde in der Szene und auch außerhalb äußerst wohlwollend aufgenommen, gewann als beste Novelle den Nebula Award, den Hugo Award und den American Library Association’s Alex Award. 2018 erschien die Novelle auf Englisch zügig in gedruckter Form, und Wells legte innerhalb eines Jahres drei weitere Murderbot-Novellen vor, die zusammen das grandiose erste Buch „Tagebuch eines Killerbots“ (im Shop) ergeben. Der Sammelband mit den erfolgreichen, ein Franchise begründenden Novellen ist sicher eine der bemerkenswertesten, zurecht beliebtesten Science-Fiction-Buchveröffentlichungen der letzten Jahre.
Danach mussten Killerbot-Fans nicht mehr lange auf den ersten originalen Roman „Der Netzwerk-Effekt“ (im Shop) warten, dem 2021 der Kurzroman „Übertragungsfehler“ (im Shop) folgte. Ende 2023 kam der neueste Serienroman heraus, der soeben als „Systemkollaps“ (im Shop) auf Deutsch erschienen ist: In ihm müssen Killerbot und Co. die Siedler eines Planeten schützen, auf dem ein außerirdisches Virus die KI der ortsansässigen Landwirtschaftsbots befallen hat, und eine andere Firma mit Security-Unit-Killerbots und eigener Agenda mischt ebenfalls mit. So, wie in der Killerbot-Legende längst andere Medien mitmischen: Hörbücher gibt es bereits länger, und eine Streaming-Serie befindet sich im Anflug.
Schon 2021 hatte die rasante Erfolgsgeschichte von Martha Wells und Killerbot abseits der Prosageschichten das nächste Level erreicht – die Quantifizierbarkeit von Kunst, wir erinnern uns? Killerbots Schöpferin konnte glücklich verkünden, dass eine Adaption als Fernsehserie in Arbeit sei. Nicht immer werden aus solche Optionierungen wirklich fertige Serien, bei Killerbot hätte einen das Versacken in der Development-Hölle allerdings verwundert. Passierte dann auch nicht. 2022 kam dagegen Apple+ als Streaming-Plattform für die „Murderbot Diaries“ ins Spiel. Das Leben nimmt auf so etwas selten Rücksicht, schlägt in allen Höhen und Tiefen gnadenlos zu: 2023 gab Martha Wells bekannt, mit einer Brustkrebserkrankung zu kämpfen. Trotzdem schritt die Adaption ihres literarischen Science-Fiction-Hits mit Wells als Beraterin weiter voran.
Ende 2023 wurde Alexander Skarsgård („Legend of Tarzan“, „The Northman“, „True Blood“) als Hauptdarsteller und Produzent benannt. 2024 wuchs der Cast um David Dastmalchian („Suicide Squad“, „MacGyver“), Noma Dumezweni („Aus Mangel an Beweisen“), Tattiawna Jones („The Handmaid’s Tale“, „The 100“) und andere. Die Brüder Chris und Paul Weitz („The Creator“, „Rogue One: A Star Wars Story“, „About a Boy“) halten im Hintergrund die kreativen Fäden der Adaption in Händen, David S. Goyer („Blade“ bis „Foundation“) mischt gleichfalls mit. Vor ein paar Wochen gab es jetzt die ersten Fotos von Skarsgård als Killerbot zu sehen. Einen offiziellen Starttermin für die zehn obligatorischen Episoden auf Apple+ gibt es noch nicht, wir fiebern quasi dem ersten Teaser-Trailer entgegen. (Auf Anhieb bingen wird man die Apple-Serie später übrigens nicht können: Beim Streamer mit dem Apfel werden Serien nach einer Doppelfolge zum Auftakt wöchentlich serialisiert.)
Doch wie verfilmbar ist der futuristische, nichtmenschliche Streaming-Serienfan Killerbot eigentlich? Oh, die Prämisse ist natürlich killer, der perfekte Elevator Pitch – da reicht fraglos eine kurze Aufzugfahrt, um Producer-Kopfkino ablaufen zu lassen, und Apple macht teils auch richtig gute, ausgesprochen wertige Hochglanz-Serien (obwohl man sich aktuell lieber die von Ridley Scott mitproduzierte Krimiserie „Dope Thief“ und die kantige deutsche Krankenhausserie „Krank Berlin“ statt des SF-Blockbusters „The Gorge“ ansehen sollte). Jedoch: Martha Wells’ Killerbot-Geschichten leben im Prosa-Original von ihrem ungewöhnlichen Ich-Erzähler, Killerbots verschachtelten, selbstkritischen, situationenbewertenden Gedankengängen, dem neurodiversen Innenleben dieses so menschlichen künstlichen Wesens. Wie werden die Macher der Apple-Adaption das in ein anderes Medium übertragen?
Bekommen die Episoden ein permanentes Gedanken-Voiceover wie z. B. in Netflix’ Serienkiller-Erfolgsserie „You – Du wirst mich lieben“, deren Finale dieses Frühjahr ansteht? (Und würde das in den action-lastigen Phasen einer SF-Serie überhaupt funktionieren?) Oder läuft es auf einen Sheldon Cooper aus „The Big Bang Theory“ hinaus, der ohne innere Stimme all das transportiert, was Killerbot ausmacht, auszeichnet? Könnte Alexander Skarsgård das leisten, oder wird man sowieso mehr auf das SF-Action-Feuerwerk, den „Halo“-Effekt des Ausgangsmaterials setzen? Adaptionen brauchen Freiheiten, müssen ihren eigenen Weg finden und nehmen. Aber was wäre Killerbot ohne seine innere Stimme, die Martha Wells’ Androiden in Rekordzeit zu einer der beliebtesten neuen Figuren der modernen Science-Fiction gemacht, die Karriere der Autorin noch einmal massiv beflügelt hat?
Mal sehen, wie lange wir auf den ersten Teaser-Trailer der „Murderbot Diaries“ warten müssen, und was für Schlüsse der zulässt. Ein neurotisch-sarkastischer Voiceover würde alle Killerbots da draußen sicher beruhigen.
Martha Wells: Systemkollaps • Roman • Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert • Heyne, München 2025 • 304 Seiten • Erhältlich als Paperback, eBook und Hörbuch Download • Preis des Paperbacks: 15,00 € • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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