14. April 2021

„The Nevers“- Liga der außergewöhnlichen Frauen

Joss Whedons Superfrauen mischen das viktorianische London auf

Lesezeit: 3 min.

Mehr Zeitgeist geht kaum: Frauen mit besonderen Kräften, etliche von ihnen People of Color, unterstützt von Männern vom Rand der Gesellschaft, die ebenfalls größtenteils POCs sind. Zeit und Ort: Das viktorianische London im Jahre 1899, am Vorabend des 20. Jahrhunderts, aber emanzipatorisch noch in der Steinzeit, am Scheitelpunkt der Ära des Kolonialismus, als die Sonne im britischen Empire nie unterging und an Rechte für Frauen, geschweige denn für Menschen, durch deren Adern nicht das reine Blut Albions floss, nicht zu denken war.

Dass ausgerechnet Joss Whedon diese Serie, die den rätselhaften Titel „The Nevers“ trägt, erdacht und bei den ersten Folgen Regie geführt hat, ist einerseits wenig überraschend, wurde Whedon in den späten 90ern doch mit Serien wie „Buffy“ und „Angel“ bekannt, die sich um starke Frauenfiguren drehten, bevor das en vouge war. Inzwischen sieht sich auch Whedon mit #metoo-Vorwürfen konfrontiert, wird als Bully bezeichnet und hat sich dementsprechend auch von der Arbeit an „The Nevers“ zurückgezogen.

Die Arbeit an der ersten Staffel, die ab sofort und dann im Wochentakt bei Sky zu sehen ist, beendete Philippa Goslett, die zuletzt das Drehbuch zu „Maria Magdalena“ geschrieben hat. Im Gegensatz zu jenem Jesus-Film aus anderer Perspektive, ist der Mittelpunkt von „The Nevers“ ganz und gar weiblich. Im Mittelpunkt stehen Amalia True (Laura Donnelly) und Penance Adair (Ann Skelly), die zu den Frauen gehören, die als „touched“ bezeichnet werden, als Berührte, nicht zuletzt im göttlichen Sinn. Im August 1896 tauchte plötzlich ein Raumschiff über London auf, bezeichnenderweise in Form eines Kreuzes, das eine Art Energiepartikel versprühte, die einige Menschen „berührten“, allerdings fast ausschließlich Frauen. Besondere Gaben haben diese Frauen nun, manche sind besonders groß, andere sprechen alle Sprachen der Erde, andere können punktuell die Zukunft sehen. Dass solche Fähigkeiten in einer patriarchalischen Welt eine Gefahr sind kann man sich denken, die Frauen und ihre Helfer haben sich daher in ein ehemaliges Waisenhaus zurückgezogen, dessen Ähnlichkeiten zur Mutant Academy der X-Men sicher kein Zufall ist. Hier hegen sie ihre Talente, finden unter Gleichgesinnten Schutz und Obdach und sehen sich nun dem Kampf gegen geheime Kräfte gegenüber. Denn nicht nur eine Serienkillerin namens Maladie (Amy Manson) treibt ihr Unwesen auf den Londoner Straßen, eine Gruppe vermummter Gestalten scheint es auf die gesegneten Frauen abgesehen zu haben.

Unverhohlen metaphorisch ist dieses Setting, die Bezüge zur Gegenwart überdeutlich: Alte weiße Männer beherrschen die Stuben der Regierung, stellen sich gegen den Wandel, gegen die Frauen und POCs, deren besondere Fähigkeiten die Autorität der Männer bedrohen. Parallelen zur Gegenwart sind ganz gewiss nicht zufällig, lassen „The Nevers“ zumindest im Ansatz wie die ultimativ politisch korrekte, woke Serie wirken. Doch schon in der ersten Folge werden vielfältige Fährten gelegt und Komplotte angedeutet, so dass zusammen mit der schwelgerisch Ausstattung die Hoffnung besteht, dass es sich hier um mehr handeln wird, als eine bloß oberflächlich auf den Zeitgeist abzielende Serie.

Die ersten sechs Folgen laufen in den kommenden Wochen, die letzten vier der ersten Staffel in naher Zukunft. Und da die erste Folge Einschaltrekorde beim amerikanischen Sender HBO gebrochen hat, könnte schon bald eine zweite Staffel in Auftrag gegeben werden. Die Abenteuer dieser außerordentlichen viktorianischen Frauen dürften also noch eine ganze Weile weitergehen.

The Nevers • USA 2021 • Creator: Joss Whedeon, Philippa Goslett • Darsteller: Laura Donnelly, Ann Skelly, James Norton, Tom Reilly • ab sofort bei sky, sechs Folgen, später vier weitere

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